Rempler und Rügen im Landtag

von Redaktion

Nach 100 Tagen verschärft die AfD ihren Ton – die Debatte um den Rundfunk kommt ihr gelegen

München – Die Sitzung startet mit einem Paukenschlag. Statt mit den sonst üblichen Glückwünschen für Hinz und Kunz eröffnet Ilse Aigner das Plenum mit einer formalen Rüge. Die Landtagspräsidentin rügt eine „verbale Entgleisung“ des AfD-Abgeordneten Müller aus der Vorwoche. Er hatte über die „Stasi- und Schnüffelkanzlerin“ Merkel geschimpft. Die CSU-Politikerin Aigner verurteilt das als „wahrheitswidrig, ehrverletzend und beleidigend“.

Folgen: keine. Kosten: keine. Strafe: keine. Trotzdem ist der Vorgang von Dienstagnachmittag außergewöhlich. Die letzte formale Rüge für eine Rede eines Abgeordneten im Landtag liegt 25 Jahre zurück, haben die Parlamentsarchivare aus den Akten ermittelt. Vor allem ist der Vorfall ein Beleg dafür, wie sich die Lage im Landtag zuspitzt. Die 22 AfD-Abgeordneten versuchen nach den ersten 100 Tagen im Parlament, ihre Wortwahl deutlich zuzuspitzen. Die anderen Fraktionen ringen um Antworten.

Diese Woche kommt es mehrfach zum Krach im Parlament. Hinter den Kulissen wollen CSU und Freie Wähler Korrekturen an den Redezeiten durchsetzen. Ziel: Die überdurchschnittlich vielen Zwischeninterventionen der AfD eindämmen. Heute wird der Ältestenrat darüber sprechen, die AfD ist erzürnt.

Für den Dienstag hat die AfD wiederum im Plenum eine „Aktuelle Stunde“ über ein für die anderen Fraktionen teils unangenehmes Thema angesetzt – eine Generaldebatte über die Rundfunkbeiträge. Für die AfD liest der Unterfranke Christian Klingen eine provokante Rede ab. Er wirft den öffentlich-rechtlichen Sendern „Staatspropaganda“ vor, „Moralfetischismus“, eine „öffentlich-unrechtliche Gehirnwäsche“ und einen „aufs Zynischte“ verschwenderischen Umgang mit Geld.

Das populäre Thema der Zwangsgebühren bemüht die AfD in mehreren Landtagen. In Bayern ist die Lage besonders gespannt: Hier hat die Partei schon die Pläne für ein Volksbegehren in der Schublade. Die öffentliche Stimmung ist nach der Flüchtlingsdebatte seit 2015 den Journalisten (nicht nur) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegenüber kritisch. Hinzu kommt der ultimative Ruf der Sender, die Gebühren von 17,50 Euro pro Monat zu erhöhen. Jüngst machte auch noch ein hoch umstrittener Sprachleitfaden der ARD zum Umgang mit der privaten Konkurrenz die Runde.

Für die AfD dürfte das ein nahrhafter Boden sein. Die anderen Redner im Landtag tun sich schwer. Unisono stellen sich CSU, SPD, Freie Wähler und Grüne hinter die Öffentlich-Rechtlichen, meiden aber klare Aussagen zur drohenden Gebührenerhöhung. Es gehe bei diesem Rundfunksystem um „eine der Grundfesten unserer Demokratie“, sagt Ex-Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU). Die Freien Wähler argumentieren umständlich, die Beiträge seien „kein Zwang, sondern ein solidarischer Beitrag“.

Nur die FDP schert aus, und das spektakulär. Ihr Abgeordneter Helmut Markwort greift den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch schroffer an als die AfD – dieser „vernachlässigt seinen Auftrag, in seinen Programmen vor allem Bildung und Information zu dienen“, verzerre den Wettbewerb, schiele „auf Massengeschmack und Einschaltquoten“. Man müsse „Auswüchse von Geldverschwendung beseitigen“ und viel stärker sparen, sagt Markwort. Er beklagte, der bayerische Gebührenzahler beatme künstlich die „Zwergsender Saarländischer Rundfunk und Radio Bremen“.

Die Konstellation ist brisant – auch ganz ohne AfD. Markwort moderierte bis 2017 für den BR, geriet später mit Senderverantwortlichen aneinander. Aktuell wehrt sich der BR dagegen, dass Markwort, der an privaten Sendern beteiligt ist, in den Rundfunkrat einzieht.

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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