Der Islamische Staat (IS) ist militärisch so gut wie besiegt. Der Terrorismusexperte Peter Neumann, der aus Bayern stammt und jetzt das Radikalismus-Zentrum am Londoner King’s College leitet, sagt aber, dass die IS-Anhänger sich neu organisieren.
Wird der IS von der Bildfläche verschwinden?
Das Zurückdrängen des IS in Syrien hat dazu geführt, dass die Aktivität dieser Organisation auf allen Gebieten gelitten hat. In Syrien und dem Irak hat der IS seine Territorien verloren. Dort warten verbliebene Kräfte nun im Untergrund auf die nächste Chance, aktiv zu werden. Die Netzwerke in europäischen Ländern haben ebenfalls gelitten. Die Unterstützer sind demoralisiert und hinterfragen die angebliche Stärke des IS, der nun in einer Legitimationskrise steckt. Der Enthusiasmus ist nicht mehr da.
Ist die Gefahr von Anschlägen also gesunken?
Momentan ist der IS in einer Art Flaute und bereitet weniger Anschläge vor als noch 2015 und 2016, aber immer noch mehr als 2014. Man darf nicht vergessen, dass durch den Syrienkonflikt viele Menschen in den dschihadistischen Orbit gekommen sind, die auch in Zukunft eine Rolle spielen werden. Es wäre nicht das erste Mal, dass aus solch einem Konflikt eine neue Führungsgeneration entsteht, auch wenn derzeit wenig davon zu spüren ist.
Wie können sich Sicherheitsbehörden wappnen?
Die Szene organisiert sich gerade neu. Es ist unklar, ob der IS bestehen bleibt, das ist auch gar nicht wichtig. Die persönlichen Verbindungen und die Reputationen, die Kämpfer aus dem Syrienkonflikt gezogen haben, bestehen weiter. Die Bewegung hinter der Organisation hat sich nicht aufgelöst. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem ganz genau aufgepasst werden muss. In den nächsten zwei, drei Jahren wird sich zeigen, welche Personen weiterhin aktiv sind und welche neuen Organisationen daraus hervorgehen, das müssen Sicherheitsbehörden mit großer Voraussicht genau beobachten.
Welchen Einfluss haben die USA noch in Syrien?
US-Präsident Donald Trump sagt im Prinzip: Ich bin raus, es ist mir egal, was in Syrien passiert, wenn der IS nicht mehr da ist. Zwar ist er mittlerweile wieder etwas zurückgerudert und hat den Kurden Unterstützung und Schutz vor der Türkei zugesagt. Die USA werden aber nicht die entscheidende Macht in dem Konflikt sein. Russland, die Türkei und der Iran sind diejenigen, die, wenn überhaupt, die Zukunft Syriens aushandeln werden.
Also sind die 400 US-Soldaten, die in Syrien bleiben sollen, eher ein Alibi?
Ich denke nicht, dass es ein Alibi ist. Wenn man das strategisch betrachtet, haben diese 400 Soldaten die Funktion, die Türken davon abzuschrecken, mit aller Gewalt in die kurdischen Gebiete einzudringen. Die verbliebenen Soldaten dienen als eine Art Stolperdraht, der erst mal nur abschrecken soll. Viele glauben, dass die Mächte in Syrien große Pläne haben. Speziell die USA haben aber keinen Plan, der über die sechs Monate hinausgeht.
Was ist denn mit der deutschen Position zwischen Türken und Kurden?
Die ist sehr schwierig. Es ist klar, dass die Kurden hilfreicher waren im Kampf gegen den IS als die Türken. Aber Deutschland braucht die Türkei, zum Beispiel in Flüchtlingsfragen. Die Kurden haben im Kampf gegen den IS viel geleistet. Werden sie sitzen gelassen, könnten sie sich wieder Syriens Präsident Baschar al-Assad zuwenden.
Interview: Gregory Dauber