Abwarten und Abendessen

von Redaktion

FDP hält vorzeitiges GroKo-Ende für unwahrscheinlich, bereitet sich aber auf Gespräche vor

Berlin – Dass Christian Lindner kürzlich in einem Sternerestaurant zum Abendessen war, erregte großes Aufsehen im politischen Berlin. Das lag weniger am Essen selbst, sondern vielmehr daran, mit wem er dabei gesehen wurde: Ihm gegenüber saß an diesem Abend nämlich die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Das Treffen sorgte für allerhand Spekulationen. Basteln die beiden Parteichefs hinter den Kulissen etwa schon an einem Jamaika-Bündnis für die Zeit nach Merkel und der Großen Koalition? Schließlich hatte Kramp-Karrenbauer ja auch zu den Grünen schon Nähe gesucht. Vor einer Woche gab sie sogar ein Doppelinterview mit deren Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.

Gleichzeitig knarzt es mit dem derzeitigen Koalitionspartner an allen Ecken und Enden. Grundrente, Hartz IV, Klimawandel, Soli-Abbau, Passentzug für IS-Kämpfer. Die SPD rückt immer weiter nach links, während die Union doch eigentlich ihr konservatives Profil schärfen will.

Dazu kommt: Im Jahresverlauf stehen mit den Europawahlen und drei Landtagswahlen im Osten weitere Belastungsproben für das ohnehin angeknackste Verhältnis an. Wenn im letzten Jahresviertel die vereinbarte Halbzeitbilanz der GroKo-Parteien ansteht, könnte Schwarz-Rot also in ernsthafte Gefahr geraten. Und damit auch die Kanzlerschaft von Angela Merkel. Und genau wie die Grünen wäre dann auch die FDP wieder im Spiel, wenn es darum ginge, eine neue Regierung zu bilden.

Doch der Chef der Liberalen behauptet nun: Er glaube gar nicht, dass die Koalition tatsächlich platzt. Lindner hält es vielmehr für denkbar, „dass Frau Merkel irgendwann nach der Europawahl einen Wechsel im Kanzleramt einleiten wird“, sagt er im Interview mit dem „Handelsblatt“. Dann werde die Union der SPD viele Milliarden Euro für eigene Vorhaben zugestehen müssen, damit die Sozialdemokraten im Gegenzug Kramp-Karrenbauer als Kanzlerin akzeptieren. Und so gehe dann alles weiter seinen Gang bis zur nächsten regulären Bundestagswahl 2021. Die Angst vor Neuwahlen – „insbesondere bei der SPD“ – werde das Regierungsbündnis beisammenhalten, prognostiziert Lindner.

Sollte es jedoch wider Erwarten doch zum großen Knall zwischen Union und SPD kommen, wären die Liberalen natürlich durchaus bereit, Verantwortung zu übernehmen, betont Lindner einmal mehr. „Wir laufen nicht weg, wenn man auf uns zukommen wollte. Allerdings laufen wir auch niemandem hinterher.“

Doch ganz so gelassen, wie sie vorgeben, scheinen sie das alles bei der FDP auch wieder nicht zu sehen. Denn unter dem Titel „Ready for Government“ bereitet sich die Partei darauf vor, jederzeit Regierungsgespräche führen zu können, wie Lindner bestätigt. „Wir haben damit nach der Entscheidung von Frau Merkel begonnen, nicht mehr als CDU-Vorsitzende zu kandidieren“, sagt der Parteichef. Denn mit Kramp-Karrenbauer könne die FDP in einigen Punkten deutlich besser als mit der Kanzlerin – unter anderem in der Migrationspolitik. „Hier hat sie eine Position bezogen, die sehr viel näher bei der FDP liegt als die alte Position von Frau Merkel.“

Eine entscheidende Frage dürfte allerdings sein, ob Kramp-Karrenbauer die FDP überhaupt noch braucht, wenn es einmal so weit ist. Den derzeitigen Umfragen zufolge wäre es nämlich durchaus möglich, dass es nach der nächsten Wahl auch für Schwarz-Grün reichen würde. Ganz und gar ohne gelbe Hilfe. SEBASTIAN HORSCH

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