Netanjahu in der Krise

von Redaktion

Die Korruptionsvorwürfe gegen ihn kommen zur Unzeit – Sein Konkurrent Benny Ganz könnte profitieren

München – Das nennt man wohl späte Genugtuung. Als am Donnerstag bekannt wurde, dass Benjamin Netanjahu wegen Korruptionsvorwürfen angeklagt wird, meldete sich Ehud Olmert zu Wort und forderte Israels Ministerpräsidenten zum Rücktritt auf. Immerhin habe er, als er unter Korruptionsverdacht stand, auch seinen Posten geräumt. 2008 war das, Olmert war seit zwei Jahren Regierungschef. Damals war es Netanjahu, der ihn zum Rücktritt drängte.

Nun liegen die Dinge also anders. Israels Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit wirft Netanjahu Bestechlichkeit, Betrug und Untreue in drei Fällen vor. Der Ministerpräsident und seine Likud-Partei hatten noch hastig versucht, die Veröffentlichung gerichtlich zu verhindern. Immerhin wählt Israel in etwas mehr als fünf Wochen ein neues Parlament, Netanjahu will sein Amt behalten. Doch jetzt könnten die Karten neu gemischt werden.

Zwar haben seine Koalitionspartner angekündigt, Ne- tanjahu auch im Fall einer Anklage zu stützen. Und auch er selbst will „noch lange Jahre“ Regierungschef bleiben. Doch die Anschuldigungen, die der Generalstaatsanwalt nach zwei Jahren Ermittlungsarbeit gegen ihn vorbringt, sind schwerwiegend.

Der wohl brisanteste Fall, der offiziell „Fall 4000“ heißt, spielt in Netanjahus Zeit als Kommunikationsminister. Er soll Israels Telekom-Riesen Bezeq damals rechtliche Vergünstigungen gewährt haben. Im Gegenzug soll das firmeneigene Online-Portal „Walla! News“ positiv über Netanjahu berichtet haben. Bezeq-Chef Shaul Elovitch ist ebenfalls angeklagt.

Auch im „Fall 2000“ soll Netanjahu versucht haben, sich schmeichelhafte Berichterstattung zu erkaufen, diesmal von der regierungskritischen Zeitung „Yedioth Ahronoth“, die dem Medien-Mogul Arnon Moses gehört. Ihm soll Netanjahu angeboten haben, das Konkurrenzblatt „Israel Today“ zu schwächen. Der Deal kam wohl nicht zustande. Auch Moses ist angeklagt. Zuletzt soll Netanjahu vom Filmproduzenten Arnon Milchan Geschenke im Wert von mehreren Hunderttausend Dollar angenommen haben.

Die Korruptionsvorwürfe wabern seit gut zwei Jahren herum, Netanjahu musste mehrmals zur Befragung antreten. Der hartnäckige Generalstaatsanwalt Mandelbilt ist in Israel mittlerweile zu einer Art zweitem Robert Mueller geworden, jenem Mann, der in den USA die Verbindungen von US-Präsident Donald Trump zu Russland untersucht. Sowohl Trump als auch Netanjahu wähnen sich als Opfer einer „Hexenjagd“.

Bis zu einer Anklage wird es zwar noch Monate dauern. Bei der anstehenden Wahl dürften sich aber schon Auswirkungen zeigen. Laut einer aktuellen Umfrage der Internet-Zeitung „The Times of Israel“ könnte Netanjahus Likud vier Sitze in der Knesset verlieren. Drei kleinere Parteien, darunter mögliche Koalitionspartner, droht der Abschied aus dem Parlament. Käme es so, könnte Netanjahu wohl keine stabile Koalition mehr bilden.

Profitieren würde indes das neue Mitte-Parteienbündnis Blau-Weiß, dessen Kandidat, Ex-Militärchef Benny Ganz, ohnehin Netanjahus gefährlichster Konkurrent, ist. Auch Ganz legte Netanjahu einen Rücktritt nahe, was der Regierungschef ausschloss. Er wäre der erste Ministerpräsident Israels, gegen den im Amt Anklage erhoben wird. Das schaffte nicht mal Ehud Olmert. Er trat schon vorher zurück. MARCUS MÄCKLER

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