Berlin – Es dauerte etwas, bis die Brisanz der Äußerung von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer überall ankam. Es war wohl eine Privatperson, die die Sendung zwei Tage später sah, sich an ihren Äußerungen zu „Toiletten für das dritte Geschlecht“ störte und das in den sozialen Medien verbreitete. Was sorgte für die späte Empörung?
Kramp-Karrenbauer musste sich am vergangenen Donnerstag als Angeklagte beim „Stockacher Narrengericht“, einer schwäbisch-alemannischen Fastnachtsveranstaltung in dem Städtchen am Bodensee, als weit und breit einzige Frau gegen eine Männerriege verteidigen. Ihre Verteidigungsrede war vor allem gegen die Männerdominanz im Saal gerichtet. „Guckt euch doch mal die Männer von heute an. Wer war denn von euch vor Kurzem mal in Berlin? Da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür, dazwischen, ist diese Toilette.“
Nun sind derbe Zoten und auch Entgleisungen im Karneval oder bei der Fastnacht nichts Neues. Dennoch hagelt es Kritik. FDP-Fraktionsvize Christian Dürr warf der CDU-Politikerin vor, sie habe „eine rote Linie überschritten“. SPD-Vize Ralf Stegner sagte, Kramp-Karrenbauer „übt noch beides: den Karneval und die CDU-Spitze“. Grünen-Chefin Annalena Baerbock gesteht ihr zu, dass ein Witz mal danebengehen könne. „Aber wenn man sich dafür nicht entschuldigt, wenn er auf Kosten von Minderheiten geht, dann steckt da mehr dahinter.“ Es gebe eine Vorgeschichte, nämlich umstrittene Äußerungen Kramp-Karrenbauers zur Ehe für Schwule und Lesben.
Steckt mehr dahinter? Ihre Vorgängerin im CDU-Vorsitz, Angela Merkel, hatte im Sommer 2017, wenige Monate vor der Bundestagswahl, die von der Union bis dahin abgelehnte „Ehe für alle“ abgeräumt, indem sie so nebenbei die Abstimmung im Bundestag freigab. Damals stimmte immerhin ein knappes Viertel der Unionsabgeordneten für die Homo-Ehe. AKK hatte dagegen noch 2015 ihre Position klargemacht, es gebe in Deutschland eine eindeutige Definition der Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau. Wenn diese Definition geöffnet würde, „sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen“.
Hat sie nun mit den Äußerungen gezielt versucht, auf Kosten einer Minderheit intersexueller Menschen, eine konservative Klientel zu bedienen, wie ihr auch vorgeworfen wird? So ganz einfach ist das nicht. Gesundheitsminister Jens Spahn, der dem konservativen Flügel der CDU zugerechnet wird und mit einem Mann liiert ist, kritisierte ihr Familienbild offen. Es ist auch nicht verwunderlich, dass der Bundesverband der Lesben und Schwulen in der Union von ihr eine Entschuldigung für ihren Karnevalswitz über Toiletten für intersexuelle Menschen fordert. Dem SWR sagte der Vorsitzende Alexander Vogt, auch im Karneval gebe es Grenzen. Regierungssprecher Steffen Seibert reagierte jedenfalls recht kühl, als er nach einer Stellungnahme der Kanzlerin gefragt wurde. „Büttenreden kommentiere ich nicht.“ RUPPERT MAYR