Italiens neuer Hoffnungsträger

von Redaktion

Sachlich, ohne Triumphgeheul: Nicola Zingaretti nach seinem Erdrutschsieg als PD-Parteichef

Rom – Als Nicola Zingaretti am späten Abend vor die Kameras tritt, strahlt er heitere Gelassenheit aus. Von Überheblichkeit oder Triumphgehabe keine Spur. Dabei hat er gerade einen sensationellen Erdrutschsieg eingefahren. Über 70 Prozent haben den amtierenden Gouverneur der Region Latium soeben zum neuen Parteichef des Partito Democratico (PD) gewählt. Und dies bei einer Rekordbeteiligung von anderthalb Millionen Menschen bei einer offenen Urabstimmung.

Den ganzen Sonntag über hatten sich vor den Zeltpavillons auf den Plätzen der Städte und Dörfer Italiens lange Warteschlangen gebildet. Die Stimmung fröhlich, die Erwartungen hoch. Fragte man nach der Motivation, so war der Tenor deutlich. „Mir geht es um ein klares Signal gegen die Populisten. Ich schäme mich für mein Land“, antwortet eine junge Mutter mit Mann und Kinderwagen. Als „Aufstand der Anständigen“ wertet die römische Tageszeitung „Il Messaggero“ die Beteiligung, die alle Erwartungen übertraf.

Zingaretti (53) setzte sich gegen zwei prominente Mitbewerber durch: den bisherigen PD-Übergangschef Maurizio Martina, der als Strohmann Matteo Renzis galt, sowie den Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses, Roberto Giachetti. Beide gestanden ihre Niederlage umgehend ein und stellten sich hinter den Sieger.

Den erwartet eine schwere Aufgabe: Zingaretti soll die seit den Parlamentswahlen vor einem Jahr halbierte und in endlose Flügelkämpfe verstrickte Partei stabilisieren und wieder zu einer Opposition auf Augenhöhe der regierenden Populisten machen. Ein Job, um den niemand zu beneiden wäre. Doch dem als jovial und bürgernah geltenden Volkstribun wird das Kunststück zugetraut. Immerhin hat er vor sechs Jahren geschafft, die ehemals als rechtsnationale Hochburg geltende Region Latium zu erobern. Vor zwei Jahren wurde er wiedergewählt.

Gegner spotten, Zingaretti habe seine Popularität vor allem der verblüffenden Ähnlichkeit mit der Fernsehfigur des „Commissario Montalbano“ zu verdanken, jener beliebten Krimiserie des auch in Deutschland bekannten Autors Andrea Camillieri. Das mag nicht abträglich sein, doch dazu kommen andere Qualitäten. Zingaretti gilt als skandalfrei. Ihm werden politischer Instinkt und Integrationskraft zugeschrieben. Er überzeugt mit sachlicher Argumentation, hat Sinn für Humor. Schaum vorm Mund ist ihm fremd. Im politischen Nahkampf fällt er nicht aus der Rolle. Quasi der personifizierte Gegenentwurf zu den Spitzen von Grillini und Lega.

Seine Wähler scheinen genau das zu schätzen. Schon im innerparteilichen Wahlkampf hatte Zingaretti angekündigt, unter seiner Führung würden sich die Demokraten als „Volkspartei der Mitte“ um ein breites Bündnis gegen die Populisten bemühen. Nur so werde man künftig konkurrenzfähig sein.

Für die Europawahl schwebt ihm eine Front aller proeuropäischen Kräfte vor. Dazu müsste er die linken Abspaltungen der PD genauso zurück ins Boot holen wie das zerfledderte Zentrum. Auch zu Berlusconis Forza Italia werden ihm keinerlei Berührungsängste nachgesagt. Die Parteienlandschaft könnte sich mit dem neuen Oppositionsführer entscheidend verändern. INGO-MICHAEL FETH

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