Berlin – Kurz vor dem Jahrestag der schwarz-roten Koalition ist in Teilen von Union und SPD ein Streit über die Zukunft der Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgebrochen. Die Werte-Union, eine besonders konservative Gruppe von Unionspolitikern, brachte am Freitag einen baldigen Wechsel im Kanzleramt ins Gespräch. Dies wünschten sich viele Mitglieder der CDU, sagte der Vorsitzende der Werte-Union, Alexander Mitsch. Mehrere SPD-Politiker schlossen für den Fall eines vorzeitigen Rückzugs von Merkel aus, dass ihre Partei CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Kanzlerin wählen könnte.
Die vierte Regierung von Merkel – ihre dritte Große Koalition – ist nach einer etwa halbjährigen quälenden Regierungsbildung an diesem Donnerstag erst seit genau einem Jahr im Amt.
Mitsch sagte, Kramp-Karrenbauer könne „die begonnene Politikwende, insbesondere beim Thema Einwanderung, dort praktisch umsetzen“. Der Wechsel im Kanzleramt „sollte dann auch mit einer Umbesetzung des Kabinetts einhergehen“. Insbesondere im Wirtschaftsressort müssten dringend neue Impulse gesetzt werden.
Der Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, sagte dem „Spiegel“: „Wenn Frau Merkel versuchen sollte, ihre Kanzlerschaft an Frau Kramp-Karrenbauer zu übergeben, gäbe es sofort Neuwahlen.“ Der seit Monaten omnipräsente Juso-Chef Kevin Kühnert warnte: „Würde Merkel abtreten, wäre das quasi die Aufkündigung der Geschäftsgrundlage dieser Regierung.“
Ähnlich äußerte sich auch der nordrhein-westfälische SPD-Landeschef Sebastian Hartmann. Kramp-Karrenbauer habe mit Äußerungen zur Migrationspolitik und ihrem umstrittenen Karnevalsauftritt die Bündnisfähigkeit mit der SPD beschädigt. „Es ist kein konservatives Profil, sondern ein reaktionäres Profil, bei dem Themen, die in der Vergangenheit durch die Union nicht befriedet wurden, recht brachial aufgegriffen werden“, sagte Hartmann. Seiner Partei riet er, nun die Nerven zu behalten. „Die CDU hat ein Problem, nicht die SPD.“
Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, rief die Koalition zu entschlossenem Weitermachen auf. „Im Koalitionsvertrag steckt noch genug Substanz“, sagte Hoffmann. „Die Koalition sollte ermutigt werden, ihre Projekte beherzt anzugehen.“ Die bisherige Bilanz sei nicht schlecht. „Auch wenn der Zustand der Koalition in der öffentlichen Wahrnehmung suboptimal ist: Sie hat eine ganze Reihe substanzieller Maßnahmen auf den Weg gebracht“, sagte Hoffmann. So hätten sich die Arbeitgeber lange dagegen gewehrt, dass die Krankenversicherung wieder zu gleichen Teilen von ihnen und den Arbeitnehmern finanziert werde. „Heute gilt diese Parität wieder.“ Weitere Erfolge seien die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, das Recht auf befristete Teilzeit, mehr Qualifizierungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer sowie Verbesserungen für Pflegekräfte. dpa