Berlin – Wenn die Linke in Deutschland ein Gesicht hat, dann ist es das von Sahra Wagenknecht. Dauergast in politischen Talkshows mit ihren feinen Zügen, den angriffslustigen Augen, der inszenierten Strenge und den bissigen Bemerkungen – für viele Menschen ist Wagenknecht die Linke, die Linke ist Wagenknecht. In der Partei gefiel diese öffentliche Fokussierung zwar längst nicht allen. Jetzt müssen sich aber auch die Kritiker früher als gedacht die Frage stellen: Was ist die Spitze der Linken ohne Sahra Wagenknecht?
Die 49-Jährige will bald nicht mehr Fraktionschefin sein. Der Zeitpunkt, zu dem sie dies überraschend verkündet, ist fast zu passend, um Zufall zu sein: Es ist auf den Tag genau 20 Jahre her, dass ihr Mann Oskar Lafontaine – damals noch SPD – von allen Ämtern zurücktrat und damit die Spaltung des linken Lagers auslöste.
Auch Wagenknecht macht einen ziemlichen Schnitt: Zwar bleibt sie bis zur turnusmäßigen Neuwahl des Fraktionsvorstands im Herbst im Amt. Doch sie zieht sich auch aus der Führung ihrer linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ zurück. „Auch danach bleibe ich selbstverständlich politisch aktiv und werde mich weiterhin für meine Überzeugungen und sozialen Ziele engagieren“, betont sie in einem Schreiben an ihre Fraktion.
Warum dieser plötzliche Schnitt, nachdem Wagenknecht doch vor kurzem noch durchblicken ließ, sie sehe trotz Unstimmigkeiten in der Fraktion keinen Grund, nicht erneut anzutreten? Offensichtlich hat sie sich mit ihrem vielfältigen Engagement zwischen der Linken und „Aufstehen“, zwischen Talkshows und Bundestag übernommen. Stress und Überlastung hätten ihr zugesetzt, schrieb die 49-Jährige ihrer Fraktion. Zwei Monate lang konnte sie wegen einer nicht näher genannten Krankheit nicht arbeiten. Das alles habe ihr Grenzen aufgezeigt, die sie in Zukunft nicht mehr überschreiten wolle, teilte Wagenknecht mit.
Möglich ist auch, dass ihr der Machtkampf in der Linkspartei mehr zusetzt, als sie auch sich selbst eingestehen wollte. Seit Jahren schon, im Prinzip seit sie 2015 zur Fraktionschefin aufstieg, schlagen die Wogen zwischen Wagenknecht und der Parteispitze um Katja Kipping hoch. Auch Teile der Fraktion kritisierten ihre Chefin zwischenzeitlich scharf – wegen ihrer Alleingänge in der Flüchtlingspolitik, wegen des Engagements für „Aufstehen“, weil sie lieber ihre eigene Meinung vertritt, als die der Fraktion.
Doch eigentlich hatten sich Fraktion und Partei im Januar zusammengerauft. Jetzt wird sich die Fraktion neu ordnen müssen. THERESA MÜNCH