München – Mit ihrer Koalitionsdebatte hatte die SPD das Thema gesetzt, Alexander Mitsch musste nur noch aufspringen. Am Freitag twitterte der Diplom-Kaufmann aus Heidelberg, viele in der CDU wünschten sich einen „baldigen Wechsel im Kanzleramt“. Und damit die Botschaft auch ganz sicher ankommt, legte er in einem Interview nach: „Es wäre für die Union das Beste, wenn Frau Merkel ihr Amt geordnet und möglichst bald an AKK übergibt.“
Kanzlerinnen-Abgang, bitte zügig. So deutlich war das bisher vor allem von der AfD zu hören. Aber Mitsch, 51, ist CDU-Mitglied, Beisitzer im Kreisvorstand Rhein-Neckar – und Chef der „Werteunion“. Die wiederum ist eine Gruppe konservativer Unions-Anhänger, Merkel-Kritiker, manche sagen: Rebellen. Obwohl sie das ungern hören. Der Vize-Chef Thomas Jahn (CSU), ein Rechtsanwalt aus Kaufbeuren, sagt: „Wir vertreten nur das, was vor 15 Jahren Mainstream in der Partei war.“
Dahin soll es gehen, in die gute alte Vor-Merkel-Zeit. Was das inhaltlich bedeutet, hat die Werteunion 2018 in ihrem „Konservativen Manifest“ skizziert: Kurskorrektur, zurück zum Markenkern, ob in der Flüchtlings-, der Sozial- oder Wirtschaftspolitik. Diese Haltung kommt an. Inzwischen ist die Gruppe selbstsicher genug, um Kanzlerinnen-Debatten anzuzetteln.
Dabei fing alles klein an. Zwei Jahre ist es her, dass sich rund 70 Unions-Anhänger im schicken Palais Hirsch in Schwetzingen bei Heidelberg trafen, um Merkels Flüchtlingspolitik zu beklagen und sich zu organisieren; übrigens parallel zum Parteitag der baden-württembergischen CDU, was die Parteifreunde nicht zu Unrecht als Statement verstanden. Mit viel Resonanz rechneten Mitsch und Co. damals nicht. Inzwischen hat die Werteunion 5000 Mitglieder, ein paar Abgeordnete, die meisten von der Basis. Jahn sagt, es würden jede Woche 300 bis 400 mehr.
Der Boom hat auch damit zu tun, dass sich zuletzt zwei prominente Unions-Haderer angeschlossen haben. Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und der Dresdner Politologe Werner Patzelt. Deren Kritik am Merkel-Kurs ist bekannt, die fehlenden Berührungsängste mit der AfD ebenfalls. In der Werteunion stört das aber niemanden.
Andere Prominente stehen der Gruppe nahe, ohne dabei zu sein. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) etwa oder Friedrich Merz (CDU), den die Werteunion gerne als Parteichef gesehen hätte. Es kam anders, aber Hauptsache Wechsel, sagt Jahn. Die Werteunion hatte Druck gemacht. Dass Merkel Platz machte, sei am Ende auch ihr Verdienst gewesen.
In der Union verfolgt man all das mit gemischten Gefühlen. Im August 2018 beschloss die CDU-Spitze, die Werteunion nicht – wie etwa die Junge Union – als Vereinigung anzuerkennen. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak spottete gestern, es gebe „keine Äußerung von relevanten Spitzenpolitikern“, die einen Wechsel im Kanzleramt forderten.
Und dennoch: Die Werteunion zu ignorieren, wird schwieriger. Hinter den Kulissen, heißt es, werde eh geredet. Die Kontakte zu CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sollen gut sein (einige Vertreter waren auch bei den Werkstattgesprächen zur Migration dabei), die zu CSU-Generalsekretär Markus Blume auch. Der wollte sich gestern nicht dazu äußern.
„Ich würde unseren Einfluss nicht überschätzen“, sagt Jahn. „Aber ja, wir finden Gehör, weil wir uns auf sachliche Positionen stützen.“ Die aktuellste Position heißt: mit AKK zurück zum Markenkern. MARCUS MÄCKLER