Kardinal Pell zu sechs Jahren Haft verurteilt

von Redaktion

Richter spricht von „atemberaubender Arroganz“ – Deutsche Bischöfe beraten über Konsequenzen

Melbourne/Lingen – Wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen ist der ehemalige Finanzchef des Vatikans, Kardinal George Pell, zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Der 77-jährige Australier nahm die Entscheidung eines Gerichts in Melbourne ohne sichtbare Regung zur Kenntnis. Er streitet alle Vorwürfe bis heute ab. Der ehemalige Vertraute von Papst Franziskus geht gegen das Urteil in Berufung und hofft auf einen Freispruch.

Pell ist in der Geschichte der katholischen Kirche der ranghöchste Geistliche, der jemals wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilt wurde. Als Finanzchef war er praktisch Nummer drei des Vatikans. Der Kirchenstaat will nun abwarten, was die Berufung bringt, bevor er über weitere Konsequenzen entscheidet. Möglich wäre, dass Pell seine Titel verliert und auch nicht Priester bleiben darf.

Mit seinem Urteil blieb der Vorsitzende Richter Peter Kidd deutlich unter der möglichen Höchststrafe von 50 Jahren. Strafmindernd wertete er Pells Alter, seine Gesundheit und seine Lebensleistung. Kidd hielt Pell vor, seine einflussreiche Stellung missbraucht und Vertrauen gebrochen zu haben. Er sprach von „atemberaubender Arroganz“. Zugleich wies er Vorwürfe zurück, Australiens prominentester Katholik solle zum „Sündenbock“ für Verfehlungen der gesamten Kirche gemacht werden.

Unterdessen wurde in Deutschland eine Studie des Ulmer Kinderpsychiaters Jörg Fegert bekannt, die von einer weitaus höheren Zahl von Missbrauchsfällen im kirchlichen Raum ausgeht. Eine von den katholischen Bischöfen in Auftrag gegeben Studie hatte eine Zahl von 3677 Missbrauchsopfern genannt. Fegert geht von geschätzten 114 000 Opfern in der katholischen und evangelischen Kirche aus. Er hatte 2500 Personen befragt und die Ergebnisse hochgerechnet. Für den schulischen Bereich kommt die Studie auf eine Million Opfer, für den Sport auf etwa 200 000.

In Lingen/Niedersachsen beraten derzeit die katholische Bischöfe über die Ausarbeitung des Missbrauchs. Der Missbrauchsbeauftragte und Trierer Bischof Stefan Ackermann nannte Fegert einen seriösen Forscher, mit dem er sich bald austauschen werde. Die Bischöfe haben neue Maßnahmen beschlossen: So soll mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, ein Leitfaden für die unabhängige Aufarbeitung in den Diözesen erstellt werden.

Auf einem Studientag befassten sich die Bischöfe am Nachmittag mit den Gründen, die zu den zahlreichen Missbrauchsfällen geführt haben. Dazu hielten verschiedene Professoren Vorträge über „Sakralisierung der Macht“ oder die Zukunft der priesterlichen Lebensform. Dabei sparten sie nicht mit deutlichen Worten. Die Dogmatikprofessorin Julia Knop (Erfurt) rief die Bischöfe auf, nicht nur im Inner Circle zu reden, sondern eine öffentliche Debatte zu führen. Die MHD-Studie, die von ihnen in Auftrag gegeben worden war, „hat grauenhafte und widerwärtige Untaten von Klerikern in einem Ausmaß ans Licht gebracht, dass die katholische Kirche in Deutschland jeglichen Kredit verloren hat“.

Der Pastoraltheologe Philipp Müller (Mainz) machte klar, dass es auch wegen amtsbedingter Überforderung, mangelnder kirchlicher Unterstützung und Vereinsamung bei Priestern zu Missbrauchstaten kommen könne. Das müsse Folgen haben für die Ausbildung und Begleitung von Priestern. Zudem schlug er die Zulassung von verheirateten Männern ab einem Mindestalter von 50 Jahren zur Priesterweihe vor. Heute werden die Bischöfe erklären, ob und welche Konsequenzen sie aus den Vorschlägen ziehen. cm/kna/dpa

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