Mit Vollgas in Richtung Datenautobahn

von Redaktion

Jens Spahn will die Digitalisierung des Gesundheitswesens zu seinem Erfolg machen. Deshalb erhöht der Gesundheitsminister den Druck auf die Akteure.

VON SEBASTIAN HORSCH

München/Berlin – Das Terminservice- und Versorgungsgesetz hat nicht nur einen langen Namen, es steckt auch weit mehr drin, als man zunächst vermuten könnte. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat um das Kernthema Arzttermine ein fast 200 Seiten dickes Paket geschnürt. Einer der vielen Punkte, die der Bundestag gestern mitverabschiedet hat: Die gesetzlichen Krankenkassen werden ab 2021 verpflichtet, eine elektronische Patientenakte anzubieten.

Denn auch im Jahr 2019 ist das deutsche Gesundheitswesen noch eine gigantische Zettelwirtschaft. Im Laufe eines Lebens versorgen viele Ärzte denselben Menschen. Doch die Unterlagen, die sie über ihn anfertigen, laufen nirgends zusammen. Und obwohl schon mehrere Gesundheitsminister versucht haben, das zu ändern, ist auf der Anfang des Jahrtausends unter Ulla Schmidt (SPD) ins Leben gerufenen elektronischen Chipkarte noch immer nicht mehr zu lesen als Versichertendaten, Name, Geburtsdatum und Anschrift. „Die Gesundheitskarte ist ja inzwischen schon ein Anlass für Witze geworden“, sagt Spahn unserer Zeitung, „sozusagen der Berliner Flughafen des Gesundheitswesens.“ Sein Ziel lautet deshalb: Die dann vernetzten Daten sollen bald auch über das Smartphone abrufbar sein.

Schaffen will Spahn das, indem er den Druck auf die Akteure erhöht. „Um endlich Geschwindigkeit in den Prozess reinzubringen, straffen wir die Entscheidungsstrukturen“, sagt er. Dazu macht er das Ministerium zum Mehrheitsgesellschafter der Gematik, der gemeinsamen Digitalisierungs-Gesellschaft der Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen. „Wo Entscheidungen von Ärzten und Kassen verzögert oder nicht getroffen werden, treffen wir sie“, kündigt Spahn an.

Diese Eile sei dringend geboten, betont der Minister. Google, Amazon aber auch chinesische Konzerne investierten bereits Milliarden in den Gesundheitssektor. „Wenn wir die digitalen Gesundheitsakten nach unseren Standards noch weitere fünf Jahre lang nicht hinkriegen, kommen sie trotzdem – aber aus China und nicht aus Deutschland.“ Deshalb müssten nun schnell Standards dafür gesetzt werden, auf welche Weise zum Beispiel Blutwerte oder Röntgenbilder abgespeichert werden sollen. „Wenn im Alltag für Patienten und Ärzte spürbar wird, dass sich mit der Digitalisierung die Versorgung verbessert, wird hoffentlich eine hohe Akzeptanz entstehen.“

Hans Unterhuber, Vorstandschef der Siemens-Betriebskrankenkasse, bezweifelt, dass es so kommt. „Mit den jetzigen Spezifikationen wird die Einführung der elektronischen Patientenakte eine Katastrophe“, prophezeit er. Denn bei der geplanten Nutzung stehe nicht der Patient im Mittelpunkt. Das zeige sich zum Beispiel daran, dass der Zugang über jedes Gerät – egal ob Smartphone, Laptop oder Desktop-Computer – immer über die Gesundheitskarte authentifiziert werden müsse, kritisiert seine Kasse. „Die Versicherten werden die elektronische Patientenakte als Lösung kennenlernen, die mehr Umstände macht, als Vorteile bringt“, warnt Unterhuber.

Auch aus den Reihen der Ärzte kommt Kritik. „Die elektronische Patientenakte wird mehr Datensammlern und IT-Konzernen nutzen als Ärzten und Patienten, die um ihre Privatsphäre fürchten müssen“, warnt der Bayerische Facharztverband. Auch andere Ärzteverbände warnen immer wieder vor möglichen Datenlücken.

Spahn betont hingegen, dass bei der elektronischen Patientenakte auf die höchsten Standards bei der Datensicherheit Wert gelegt werde. „Ich wundere mich manchmal, wie hoch die Bereitschaft vieler Menschen ist, bei Facebook oder Google persönliche Gesundheitsdaten preiszugeben. Gleichzeitig gibt es eine hohe Skepsis beim staatlichen Umgang mit Daten.“

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