Organspende: „Pflicht zur Entscheidung“

von Redaktion

INTERVIEW Transplantationsmediziner über die politische Debatte und ethische Dimensionen

München – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat eine Debatte zum Thema Organspende entfacht, und jüngst hat auch der Bundestag ein Gesetz beschlossen, wonach Kliniken bessere Bedingungen erhalten sollen, um an lebensrettende Organspenden zu kommen (Kasten). Spahn will zudem, dass sich jeder mit dem Thema Organspende auseinandersetzt und eine Entscheidung trifft: dafür oder dagegen. Auch der renommierte Transplantationsmediziner Prof. Eckhard Nagel vom Institut für Medizinwissenschaften und Gesundheitsmanagement in Bayreuth sagt: Diese Entscheidung sei „eine ethische Pflicht“.

Gibt es eine Pflicht, sich zu entscheiden: für oder gegen eine Organspende?

Ja! In einer solidarisch geprägten Gesellschaft, in der jeden Tag mindestens drei Menschen sterben, weil für sie kein Spenderorgan zur Verfügung steht, halte ich eine Entscheidung für moralisch geboten. Der Nationale Ethikrat hat schon im Jahr 2007 klargestellt, das eine individuelle Entscheidung bei dieser Frage eine ethische Pflicht darstellt. Dabei kann sich eine Person für oder gegen eine Bereitschaft zur Organspende äußern. Um es klar zu sagen: Es gibt keine Pflicht zur Organspende.

Aber es gibt zu wenige Organe. Löst die Widerspruchslösung, wonach jeder Organspender ist, wenn er zu Lebzeiten nicht explizit widersprochen hat, das Problem?

Aus Studien wissen wir, dass durch eine Widerspruchslösung – im Vergleich zur Zustimmungslösung – die Verfügbarkeit von Organen gesteigert werden kann. Das liegt auch daran, dass der Staat damit einen Standard festlegt, der als Empfehlung interpretiert wird.

In Deutschland wird auch gerade die doppelte Widerspruchslösung diskutiert …

Diese erweiterte Widerspruchslösung ermöglicht es auch Angehörigen, zu widersprechen. Aber nur im Sinne einer Information und Klärung. Wer hier meint, einen „doppelten“ Schutz vor einer ungewollten Organspende zu installieren, der nimmt die Selbstbestimmung nicht ernst: Wenn jemand zu Lebzeiten von einem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, dann sollten auch die Angehörigen nach dem Tod diese Entscheidung respektieren.

Viele Menschen sind gegen eine Widerspruchslösung – können Sie deren Sorgen nachvollziehen?

Den Terminus „Widerspruchslösung“ halte ich für falsch und irreführend. Wenn wir an unseren eigenen Tod denken, brauchen wir maximale Selbstbestimmung. Wobei diese natürlich immer begrenzt ist, denn wir wissen in aller Regel nicht, wie und wann wir sterben. Also müssen wir auch unseren Mitmenschen Vertrauen schenken. Ich würde deshalb bei der jetzigen Debatte eher von einer gesellschaftlichen Entscheidung für die Organspende sprechen – also einer mehrheitlichen Zustimmungslösung, der jeder eine andere, persönliche Meinung entgegenhalten kann.

Es läuft am Ende also doch auf die Entscheidungslösung hinaus …

… und dagegen kann eigentlich niemand sein, der seine Verantwortung als Teil einer Gemeinschaft ernst nimmt und der anerkennt, dass gesellschaftliches Leben mit Rechten und Pflichten einhergeht: zum Wohle eines jeden Einzelnen.

Wie sehen Sie die Organspende?

Als einen Akt der Solidarität, des Altruismus und der Nächstenliebe über den eigenen Tod hinaus.

Könnte sich die politische Diskussion erübrigen, wenn Spahns Vorstoß – mehr Zeit und Geld für Organspenden in Kliniken – greift?

Es geht hier nicht vordergründig um eine zahlenmäßige Erhöhung der Organspenden. Es geht in dieser Diskussion um die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Sprich: Schauen wir auf die, die unsere Hilfe brauchen – in diesem Fall Menschen auf einer Transplantationswarteliste? Oder ignorieren wir das Leid anderer, um uns selbst nicht mit unserer eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen zu müssen? Die Wahrnehmung und der Respekt vor dem anderen hat gesellschaftlich viele Errungenschaften ermöglicht. Dies sollten wir auch im Bereich der Organspende und der -transplantation realisieren. Dann wird sich zeigen, ob die Zahl der Organspenden sich erhöht. In jedem Fall werden sich Patienten in unserer Mitte aufgehoben fühlen – und nicht mehr alleingelassen wie heute!

Interview: Barbara Nazarewska

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