Brüssel/London – Theresa May hatte so etwas wie ein Lächeln um die Mundwinkel. Vielleicht war es auch nur ein angestrengtes Zucken. Kurz blickte die britische Regierungschefin auf die Uhr. „Guten Morgen“, sagte sie dann, fast entschuldigend, zehn Minuten nach Mitternacht am Freitag. Wieder lagen dramatische Verhandlungen über den Brexit bei einem EU-Krisengipfel hinter ihr. Wieder hatte sie von der Europäischen Union eigentlich nicht das bekommen, was sie wollte. Und wieder strahlte die 62-Jährige diese berühmte, bemerkenswerte und irgendwie auch unerklärliche Zuversicht aus, dass nun alles doch noch gut wird. „Ich glaube, die Optionen sind jetzt klar“, sagte May.
Die Optionen sind tatsächlich zahlreich in dem Plan, den die 27 bleibenden EU-Staaten über Stunden hinweg drechselten. EU-Ratschef Donald Tusk hatte auf Mays Bitte nach Aufschub des Brexits bis zum 30. Juni eine einfache Variante vorgeschlagen: eine neue Frist bis zum 22. Mai – dem Tag vor der Europawahl – unter der Bedingung, dass das britische Unterhaus den bereits zweimal abgeschmetterten EU-Austrittsvertrag nächste Woche doch noch annimmt. Aber damit wäre ein ungeregelter EU-Austritt am 29. März nicht vom Tisch gewesen. Wieder hätte die EU hektisch einen Gipfel ansetzen müssen.
Deshalb nun ein anderer Plan: Der Austritt wird auf jeden Fall bis zum 12. April verschoben. Billigt das britische Parlament den Brexit-Vertrag nächste Woche, gibt die EU zusätzliche Zeit bis zum 22. Mai und Großbritannien würde wie geplant mit Vertrag und einer Übergangsfrist bis Ende 2020 gehen. Sagt das Parlament wieder Nein, darf London vor dem 12. April neue Pläne unterbreiten. Die EU könnte dann eine längere Vertagung beschließen. Doch müssten die Briten an der Europawahl vom 23. bis 26. Mai teilnehmen. Ohne rechtzeitige Klärung kommt ein ungeregelter Brexit am 12. April.
Klingt kompliziert? Nicht für Theresa May und auch nicht für EU-Politiker wie Udo Bullmann. „Das klärt die Verhältnisse“, sagte der sozialdemokratische Fraktionschef im Europaparlament. „Die Europäer haben die Entscheidungen in London vorstrukturiert.“ Die Gefahr eines chaotischen Brexits am 12. April hält Bullmann für gering. Das „wird es nicht geben“. Denn: „Das kann kein einigermaßen vernunftbegabter Mensch wollen.“ Die Parteien in London würden eine andere Lösung finden.
EU-Diplomaten finden die Beschlüsse genial, weil nun die Last auf London ruht. Regierungschefin May reichte den Kelch sofort weiter und stellte klar: London heißt in dem Fall Westminster, das britische Parlament. Von Brüssel aus sieht man die Lage im Unterhaus sehr trübselig. Im Kreis der 27 Staats- und Regierungschefs war nach Angaben eines hohen EU-Beamten kein einziger, der dem Brexit-Vertrag bei der dritten Abstimmung große Chancen einräumt. Man erwartet wohl bis zum 12. April das politische Beben in London, das sich seit Monaten grollend ankündigt und doch bisher immer ausgeblieben ist.
Die Fronten im Unterhaus sind total verhärtet. Labour als größte Oppositionspartei ist sich im Brexit-Kurs auch nicht so richtig einig und ihr Chef Jeremy Corbyn äußerst umstritten. Innerhalb der regierenden Konservativen Partei haben die Brexit-Hardliner um den exzentrischen Abgeordneten Jacob Rees-Mogg eine gehörige Macht. Und die nordirische DUP, auf die Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, lehnt jegliche Sonderrolle des britischen Landesteils auf der irischen Insel ab. Zwei Mal ist das Brexit-Abkommen schon krachend im Unterhaus durchgefallen – auch in London glauben wenige, dass das beim dritten Anlauf anders sein sollte. Britische Medien halten einen Rücktritt von May für immer wahrscheinlicher.
Bei jener mitternächtlichen Pressekonferenz am Freitag in Brüssel fragte ein britischer Reporter May rundheraus: „Werden wir die Europäische Union je verlassen, Frau Premierministerin?“ Und die sagte mit bekannter Entschlossenheit: „Ja, wir werden die Europäische Union verlassen.“ Das bleibt wohl auch für die EU nach dem Brüsseler Gipfel die Arbeitshypothese. Es sei denn, es kommt doch anders.