Damaskus – Kurz vor dem Ende verbreitete die IS-Terrormiliz noch einmal Durchhalteparolen. Als in den sozialen Medien eine neue Botschaft von IS-Sprecher Abu al-Hassan al-Muhadschir auftauchte, klang dessen Stimme wütend. Er schimpfte gegen die Gegner der Dschihadisten, mehr als 40 Minuten dauerte die Tirade. „Wartet auf die Seen aus Blut“, wetterte Abu al-Hassan. Was immer die „Koalition der Ungläubigen“ auch tun werde – am Ende siege der Islamische Staat.
In den Krisenländern Syrien und Irak sieht die Realität anders aus. Nach dem jahrelangen Krieg gegen die Extremisten ist deren selbst ernanntes Kalifat endgültig in Trümmer zerfallen. Am Samstag erklärten die von Kurden angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) den Fall der letzten IS-Bastion in der Region, Baghus, ein Ort an der Grenze zum Irak.
„Wir stehen hier, um den Sieg über Daesh zu verkünden“, ruft SDF-Kommandeur Maslum Kobane bei einer Militärzeremonie am nahe gelegenen Ölfeld Al-Omar in das Mikrofon. Eine Kapelle spielt Blasmusik, Männer und Frauen in Uniform marschieren zur Feier des Erfolgs und zur Ehrung der Gefallenen auf.
Bilder aus dem kleinen Ort im Euphrat-Tal lassen erahnen, wie brutal die Schlacht war. Baghus ist eigentlich ein grünes Dorf, in dem die Menschen mit Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienen. Doch wo die Dschihadisten zum Schluss hausten, sind nur braune Gräben und tiefe Krater geblieben, die Jets in den Boden gebombt haben. Überall liegen Leichen, Frauen und Kinder darunter.
Fünf Jahre liegen zwischen den Bildern des Untergangs und dem Tag im Juli 2014, an dem sich IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi in Mossul das bisher einzige Mal öffentlich zeigte. Gerade hatte der IS sein „Kalifat“ ausgerufen. Er kontrollierte riesige Gebiete im Irak und in Syrien und war auf dem Höhepunkt der Macht.
Doch im Spätsommer 2014 begann die internationale Anti-IS-Koalition unter Führung der USA ihren Einsatz gegen die Extremisten. In monatelangen Kämpfen konnten irakische Bodentruppen mit Hilfe von Luftangriffen der Koalition ihr Land befreien.
Die militärische Niederlage des IS ist allerdings nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Terrormiliz. Schon vor Monaten haben die Dschihadisten auf den Zerfall ihres Reichs reagiert. Längst sind sie zu einem Guerilla-Kampf übergegangen. Tausende Anhänger von Daesh, wie der IS auf Arabisch genannt wird, dürften in den riesigen Wüstengebieten Syriens und des Iraks untergetaucht sein.
Die Situation erinnert an das Jahr 2010, als der IS-Vorläufer nach dem Bürgerkrieg im Irak als zerschlagen galt. Der damalige US-Präsident Barack Obama ließ die US-Truppen aus dem Krisenland abziehen. Rund vier Jahre dauerte es, bis IS-Anhänger erst die Millionenstadt Mossul, dann weitere Gebiete im Irak überrannten.
Es mangelt deshalb auch nicht an Warnungen vor einem schnellen Abzug der US-Truppen aus Syrien, wie ihn Präsident Donald Trump vorantreibt. Zudem hat der IS längst in anderen Ländern Fuß gefasst: In Ägypten etwa, in Afghanistan, in Nigeria oder in Ost-Afrika. Die militärische Niederlage könnte auch Sympathisanten in anderen Teilen der Welt dazu bringen, aus Rache neue Anschläge zu planen.