Berlin – Schon die Optik des Beschlussentwurfs zeigt, wie heikel das Thema ist. Auf jeder Seite steht dick in Rot der Warnhinweis, dass es sich nur um ein Arbeitspapier handele. Und im wichtigsten Kapitel „Schlussfolgerungen und Ausblick“ gab es kurz vor der entscheidenden Sitzung am Montag noch große Lücken. Keine der Kommissionen, die die Regierung zur Erreichung der deutschen Klimaziele eingesetzt hat, tat sich so schwer wie die zum Verkehr; eine Verlängerung oder gar ein Scheitern lagen den Tag über in der Luft.
Zur Begleitmusik der Arbeit hatten von Anfang an massive öffentliche Interventionen aller Seiten gehört. Die Umweltverbände wollten dem Verbrennungsmotor durch eine Verteuerung des Treibstoffs schneller den Garaus machen. Das lehnten Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und beim Diesel auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) ab. Allerdings ist das Modell einer CO2-Steuer von bis zu 80 Cent je Liter im Schlussentwurf noch enthalten. Nicht jedoch die zwischenzeitlich veröffentlichte Idee, auf Autobahnen ein Tempolimit einzuführen. Sie wurde von Scheuer als „gegen jeden Menschenverstand“ bezeichnet, von Schulze als „komplett unrealistisch“ – und war zuletzt im Entwurf, der unserer Zeitung vorliegt, nur noch als Wunsch einiger Mitglieder in einer Fußnote erwähnt.
Der Verkehr stößt derzeit 167 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus und hat sich als einziger Bereich seit 1990 nicht verbessert. Zielgröße für 2030 sind 95 Millionen Tonnen. Einen Teil soll die schon beschlossene Senkung der EU-CO2-Grenzwerte für Neufahrzeuge auf durchschnittlich 95 Milligramm je Kilometer ab 2021 bringen. 55 Millionen Tonnen CO2 galt es also darüber hinaus irgendwie einzusparen. Mit sehr vielen Einzelmaßnahmen. Die Kommissionsarbeit war wie ein Puzzle.
Bis zu acht Millionen Tonnen sollen durch den Ausbau des Schienenverkehrs um rund ein Drittel und die Verdoppelung des Fahrradverkehrs eingespart werden. Da war man sich schnell einig. Ob solche Zuwächse realistisch sind, blieb unklar. Weitere bis zu zehn Millionen Tonnen erwartet man sich von „Effizienzsteigerungen“, darunter digitale Parksuchsysteme oder die Öffnung der Standspur bei starkem Verkehr. Problem aus Sicht der Experten: „Wenn die Kund/innen weiter zu größeren und schwereren Fahrzeugen greifen, werden Effizienzverbesserungen aufgehoben oder sogar überkompensiert.“ Die Industrie brachte auch den massiven Einsatz von Biokraftstoffen und von synthetischen Kraftstoffen ins Spiel, was die Umweltverbände so jedoch für unrealistisch hielten.
Die eigentliche Lösung soll im schnellen Ausbau der Elektromobilität liegen. 2030 sollen bis zu 10,5 Millionen E-Autos auf der Straße sein. Derzeit sind es nur 19 000. Bis zu 13 Millionen Tonnen CO2 könne der „Antriebswechsel“ bei Pkw und Lkw bis 2030 einsparen, heißt es. Offen blieb, ob diese Revolution auf den Straßen realistisch ist und was der Staat beitragen muss. Von „Luftbuchungen“ sprachen die Grünen.
Drücken kann Deutschland sich bei diesem schwierigen Thema nicht. Die Klimaziele sind europäisches Recht; bei ihrem Verfehlen drohen Berlin Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Die Koalition hatte daher erst vor zwei Wochen bekräftigt, dass sie noch in diesem Jahr ein umfassendes und verbindliches Klimaschutzgesetz für alle Bereiche beschließen will, inklusive Verkehr; Angela Merkel persönlich übernahm die Leitung eines „Klimakabinetts“, um das durchzusetzen. WERNER KOLHOFF