MARCUS MÄCKLER
Das Kalifat ist am Ende. IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi ist mindestens untergetaucht, vielleicht tot. Und irgendwo im Norden Syriens hoffen hunderte ausländische Dschihadisten auf ihre Rückkehr nach Europa. Fünf Jahre nach dem Siegeszug in Syrien und dem Irak liegt die Terrormiliz IS am Boden. Aber der symbolisch wichtige militärische Erfolg darf nicht täuschen: Besiegt ist sie nicht.
Auch wenn der Name es suggeriert: Der Islamische Staat war nie in erster Linie darauf angelegt, ein Staat zu sein. Er ist ein Netzwerk, geeint in der radikalen Ideologie und äußerst anpassungsfähig. Auf seine Niederlage in Syrien hat er längst reagiert: Die Rückverwandlung in eine Guerilla läuft seit Monaten. An Gebieten, von denen aus sich operieren lässt, mangelt es im wüstenreichen Syrien (eigentlich im ganzen Nahen Osten) nicht. Außerdem hat der IS längst in anderen instabilen Staaten Fuß gefasst: in Afghanistan, in Ost-Afrika. Macht-Vakuen gibt es in der Region genug. Die Warnungen vor einem Wiedererstarken sind also ernst zu nehmen.
Das ist die eine Seite. Die andere Seite birgt ein trauriges Eingeständnis: Manche Ziele haben die Dschihadisten längst erreicht. Eines davon war stets, einen Keil in die westliche Gesellschaft zu treiben, sie zu destabilisieren, bis sie sich selbst zerlegt. In seinem hasserfüllten Pamphlet gab der Attentäter von Christchurch an, aus Rache für die Opfer vergangener Anschläge zu handeln. Er wolle einen Bürgerkrieg anzetteln, stand dort. Der IS hätte es nicht anders formuliert. Seine Saat geht längst auf.
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