London – Mit großer Beharrlichkeit hat Theresa May um ihr Brexit-Abkommen gekämpft. Im Unterhaus musste die Regierungschefin einen Rückschlag nach dem anderen hinnehmen. Jetzt will sie an diesem Freitag erneut über den so oft abgeschmetterten Deal zum EU-Austritt abstimmen lassen. Fraglich ist jedoch, ob Parlamentspräsident John Bercow mitspielt.
Bercow droht wiederholt, die Abstimmung nicht zuzulassen. Grund ist eine 415 Jahre alte Regel, wonach ein und dieselbe Vorlage nicht beliebig oft zur Abstimmung gestellt werden kann. Bercow machte deutlich, dass sich der Vorschlag „substanziell“ von den beiden vorherigen Versuchen unterscheiden muss. Die Regierung hat das – vage – angekündigt.
Die Premierministerin hatte am Donnerstag ihren baldigen Rücktritt angeboten, sollte das Abkommen im Unterhaus doch noch angenommen werden. Etliche Widersacher in ihrer Konservativen Partei gaben ihren Widerstand daraufhin auf. Noch nicht von Erfolg gekrönt waren jedoch Versuche, die DUP zu überzeugen. Mays Minderheitsregierung hängt von den zehn Stimmen der nordirischen Protestantenpartei ab. May muss daher auch auf Unterstützung aus der Opposition hoffen.
Die Zeit drängt: Diesen Freitag läuft eine von der EU gesetzte Frist ab. Sollte das Brexit-Abkommen bis zum Abend nicht angenommen sein, muss May eine Verlängerung über den 22. Mai hinaus beantragen. Sonst droht Großbritannien schon am 12. April ein Austritt ohne Abkommen. Die EU-Kommission forderte Großbritannien nochmals auf, eine klare Linie beim Brexit zu finden: „Wir haben gestern acht Neins gezählt. Wir brauchen jetzt ein Ja zum Weg nach vorn“, sagte ein Sprecher.
Die britischen Abgeordneten hatten über acht Alternativen zum Brexit-Kurs Mays abgestimmt – doch hatte kein Vorschlag eine Mehrheit bekommen. Sehr klar war aber die Ablehnung der Variante, zum neuen Brexit-Termin 12. April ohne Vertrag auszuscheiden.
Unterdessen setzt in London eine Debatte ein, wer May nachfolgen könnte. Es gibt mehrere Anwärter für den Parteivorsitz und damit für das Amt des Regierungschefs. Bekanntestes Gesicht dürfte Boris Johnson sein. Der frühere Bürgermeister von London war einer der Wortführer der Brexit-Kampagne vor dem Referendum 2016. Der polarisierende Politiker (52) wurde nach dem Sieg der EU-Gegner unter May Außenminister. Er leistete sich allerdings diverse Ausrutscher. Schon vor seinem Rücktritt im Juli 2018 war er ein heftiger Kritiker von Mays Kurs.
Genannt wird auch der Brexit-Wortführer Michael Gove (51). Er wollte bereits in den Wirren 2016 nach der Parteispitze greifen, schaffte es in der Fraktion jedoch nicht in die Endrunde. May machte ihn im Juni 2017 zum Umweltminister, wo er mit einer Reihe umweltfreundlicher Ankündigungen in den Schlagzeilen blieb.
Mays De-facto-Stellvertreter David Lidington ist ein einflussreicher Insider. Der 62-Jährige ist ein Brexit-Befürworter und genießt hohe Anerkennung wegen seiner diplomatischen Fähigkeiten. Jeremy Hunt (52), Nachfolger von Johnson im Amt des Außenministers, war eigentlich für einen Verbleib in der EU. Allerdings kritisierte er das Auftreten Brüssels in den Verhandlungen um den Austritt später als „arrogant“.
Im Rennen sind außerdem Dominic Raab (45), der kurzzeitig Brexit-Minister war, aber seinen Posten räumte, weil er die Linie von May gegenüber Brüssel als zu weich empfand. Raab ist Boxer und zudem Träger eines schwarzen Karate-Gürtels. Der frühere Investmentbanker Sajid David, Sohn eines pakistanischen Busfahrers, gilt schließlich als das Gesicht des modernen, multikulturellen Großbritanniens. Er gehört dem wirtschaftlich liberalen Flügel der Konservativen an und stimmte 2016 für einen Verbleib in der EU. Er ist seit April 2018 Innenminister.