Washington – Solche Fotos sind für Regierungschefs ein Albtraum: Migranten in einem eingezäunten Freiluft-Lager unter einer Brücke, notdürftig in Decken gewickelt, frierend und in eine ungewissen Zukunft starrend. Diese Aufnahmen aus der US-Grenzstadt El Paso verdeutlichen das Ausmaß der Einwanderungskrise, mit der sich Washington derzeit konfrontiert sieht.
Mick Mulvaney, Stabschef von Präsident Donald Trump, sprach von 100 000 Menschen, die allein im März die Grenze illegal passiert hätten. Deshalb sei recht wahrscheinlich, dass Trump seine Drohung wahr machen werde, die Grenze zu Mexiko zeitweise zu schließen. Das wäre ein dramatisches Novum in der Geschichte der Vereinigten Staaten – und würde nichts an dem Fakt ändern, dass die Grenze an vielen Stellen so ungesichert ist, dass Asylsuchende weiter keine Probleme mit dem Übertritt hätten.
Die Zunahme des Migrantenstroms aus lateinamerikanischen Ländern hatte Trump am Samstag zum Tweet bewogen, die Aufnahmekapazitäten seien erschöpft, die Wahrscheinlichkeit einer Grenzschließung sei sehr hoch. In der Tat zeigen die Aufnahmen aus dem Freiluftlager von El Paso, dass die täglich tausende Neuankömmlinge den Städten und US-Grenzschützern enorme logistische Herausforderungen bereiten. Trump-Beraterin Kellyanne Conway betont deshalb, der Präsident „bluffe nicht“, wenn er die Schließung aller Übergangsstellen in die USA im Süden des Landes in Erwägung ziehe. Ein solcher Schritt wäre ein drastisches Signal an Mexiko, das nach Ansicht des Weißen Hauses nicht genug tut, um Migranten zu bremsen.
Hunderttausende Mexikaner kommen allerdings auch täglich legal in grenznahe Städte, um dort zu arbeiten oder die Schule zu besuchen. Die US-Handelskammer erklärte gestern, dass jährlich mehr als 600 Milliarden Dollar an Waren zwischen beiden Ländern den Besitzer wechseln – Mexiko ist drittgrößter Handelspartner. Den Verbrauchern in den USA drohen bei einer Grenzschließung Engpässe und höhere Preise bei Lebensmitteln.
Dennoch warnte Trump, wenn Mexiko nicht helfe, werde man die Grenze „für lange Zeit“ geschlossen halten. „Ich spiele nicht herum“, so der Präsident. Erste Indizien für die ernsten Absichten Trumps, bei der Migrantenkrise mit Härte zu handeln, gab es auch durch die Ankündigung, Hilfszahlungen an die Länder Guatemala, Honduras und El Salvador einzustellen. Das Weiße Haus möchte hunderte Millionen Dollar nicht mehr überweisen – auch für Programme, die beispielsweise die Banden-Kriminalität in diesen südamerikanischen Ländern bekämpfen und damit gegen eine der Ursachen für die Migrationsbewegung vorgehen.
Zahlreiche Familien mit ihren Kindern suchen derzeit aus diesen Ländern Zuflucht in den USA. Stabschef Mulvaney betonte, die Situation stelle eine „humanitäre und eine Sicherheitskrise“ dar – und benutzte dabei die Worte, die Trump Mitte Februar bei der Ausrufung des nationalen Notstands gewählt hatte, um damit die Finanzierung des Mauerbaus an der Südgrenze zu rechtfertigen.
Falls Trump wie angedroht die Schließung aller Übergangsstellen anordnen sollte, hätte dies juristische Folgen. Wie schon beim umstrittenen Einreiseverbot für Muslime aus ausgewählten Staaten würde es Klagen geben – weil staatliche Einwanderungsgesetze verletzt würden. In der Frage des Einreiseverbotes für Muslime, das weltweit kritisiert worden war, hatte allerdings der oberste Gerichtshof der USA – der „Supreme Court“ – die Autorität des Präsidenten bestätigt, eine solche Maßnahme vorzunehmen. FRIEDEMANN DIEDERICHS