Kommunalwahl in der Türkei

Wuchtiges Signal

von Redaktion

MARCUS MÄCKLER

Für Recep Tayyip Erdogan kam es am Sonntag faustdick: Die Metropolen Izmir, Antalya und Ankara werden bald von seinen Kritikern geführt, womöglich fällt auch Istanbul nach Jahren der AKP-Herrschaft an den Kandidaten der oppositionellen CHP. Der Präsident selbst hatte die Kommunalwahlen großspurig zur „Überlebensfrage“ erklärt. Gemessen daran ist das Ergebnis nicht weniger als ein Votum gegen ihn und seine Regierung.

Knapp ein Jahr nach Einführung des Präsidialsystems in der Türkei ist das Signal umso wuchtiger. Die Menschen sind offenbar nicht bereit, sich einem Autokraten Erdogan auszuliefern; jedenfalls kaufen sie ihm die Erklärungen für die Wirtschaftsmisere – schuld soll natürlich das anti-türkische Ausland sein – nicht mehr ab. Auch seine spalterische Rhetorik (CHP-Kandidaten sind für ihn Terrorhelfer) verfängt immer weniger. Dass er gegen Ende des Wahlkampfs sogar öffentlich Video-Ausschnitte des Christchurch-Attentats zeigte, um ein Wir-gegen-die-Gefühl zu erzeugen, ist nicht nur pietätlos, sondern sagt viel über die Angst vor der drohenden Niederlage.

Erdogan hat der Türkei nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch geschadet. Die Leute scheinen das zu spüren, auch wenn die große Machterosion wohl (noch) nicht ansteht. Es war eine Denkzettelwahl, die Erdogan mindestens dazu drängen müsste, seine Mittel zu überdenken: Jetzt wäre Zeit für Dialog. Ob der Präsident das verstanden hat, ist eine andere Frage. Gestern hieß es, die AKP werde die Ergebnisse in Ankara und Istanbul anzweifeln. Diese Wahl wird lange nachwirken.

Marcus.Maeckler@ovb.net

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