GEORG ANASTASIADIS
Zum nun schon dritten Mal beschäftigt ein eher niederklassiges „Schmähgedicht“ die deutsche Justiz. Und diesmal ist es die Bundeskanzlerin selbst, die – natürlich nur sinnbildlich – auf der Anklagebank Platz nehmen muss. Dort soll geklärt werden, ob Angela Merkel den TV-Entertainer Jan Böhmermann widerrechtlich vorverurteilte, als sie dessen Erdogan-kritische Satire quasi regierungsamtlich als „bewusst verletzend“ bezeichnete.
Sie habe damit, sagt Böhmermanns Anwalt, „erhebliche Folgen ausgelöst“, darunter auch massive Bedrohungen aus der Türkei. Gleich wie das Gericht entscheidet: Der Fall Böhmermann ist zum Lehrstück dafür geworden, wie sich die Regierung eines freien Landes nicht verhalten sollte, wenn es die Kunst- und Redefreiheit hochhalten will. Längst haben die Richter ein erstes Verfahren eingestellt, in dem Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts abgeurteilt werden sollte. Mehr noch: Der noch aus der Kaiserzeit stammende Strafrechtsparagraf 103, der Majestätsbeleidigung sanktioniert, wurde sogar abgeschafft. Wer sich beleidigt fühlt und dagegen klagen will, braucht nicht die Hilfe der Bundesregierung und vor-demokratischer Gesetze: Er soll vor reguläre Gerichte ziehen – so, wie es Erdogan dann auch getan (und zum Teil Recht bekommen) hat. Auch die Kunstfreiheit ist nicht schrankenlos. Aber darüber hat nicht die Kanzlerin zu urteilen, erst recht nicht in vorauseilendem Gehorsam vor einem ausländischen Despoten vom Schlage eines Erdogan.
Angela Merkel hat ihre Lektion gelernt. Für den Vorwurf der bewussten Ehrverletzung hat sie sich öffentlich entschuldigt. Hoffentlich nicht nur, um juristische Folgen für sich abzuwenden. Sondern auch aus Einsicht in einen schweren politischen Fehler. Aggressiven Potentaten kommt man nicht bei, indem man vor ihnen katzbuckelt. Sondern indem man die eigene Freiheit verteidigt.
Georg.Anastasiadis@ovb.net