London/Brüssel – Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Brexit-Sackgasse haben die britische Premierministerin Theresa May und Oppositionschef Jeremy Corbyn „konstruktive“ Gespräche geführt. „Beide Seiten haben Flexibilität und Engagement gezeigt, die gegenwärtige Brexit-Unsicherheit zu einem Ende zu bringen“, teilte ein Regierungssprecher mit. Corbyn nannte das Treffen „nützlich“, es habe aber noch kein Ergebnis gegeben.
Für die weiteren Gespräche sollten zwei Verhandlungsteams gebildet werden. Auf Regierungsseite gehören Vizepremier David Lidington und Brexit-Minister Steve Barclay dazu. Am Abend wollten beide Seiten ein Arbeitsprogramm erstellen. Heute soll ganztägig verhandelt werden.
Das Parlament begann am Mittwoch mit der Debatte über ein Gesetz, das die Regierung zum Antrag auf eine weitere Verschiebung des Brexits zwingen könnte. Eine überparteiliche Gruppe von Abgeordneten wollte so verhindern, dass es zu einem Ausscheiden aus der EU ohne Vertrag kommt.
Aus Protest erklärte am Mittwoch gleich zwei Staatssekretäre ihren Rücktritt: der für den Brexit zuständige Chris Heaton-Harris und Nigel Adams, der Staatssekretär für Wales ist. Sie fürchten, der Bruch mit Brüssel könne nun nicht deutlich genug ausfallen. Damit sind in den vergangen zwölf Monaten bereits 36 Regierungsmitglieder zurückgetreten. Weitere konservative Parlamentarier kündigten Widerstand an.
May unterstrich das gemeinsame Ziel, einen EU-Austritt ohne Abkommen zu vermeiden. Sollte das Parlament den Austrittsvertrag kurzfristig doch noch annehmen, plädiert EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker für einen weiteren Aufschub des Brexits bis zum 22. Mai. Er machte dies aber davon abhängig, dass noch vor dem 12. April eine stabile Mehrheit in London für den EU-Austrittsvertrag zustande komme.
Das britische Unterhaus hat den von May mit der EU vereinbarten Austrittsvertrag bereits drei Mal abgelehnt, sich aber auch nicht auf eine andere Brexit-Variante einigen können. Um die Blockade zu durchbrechen, hatte die Regierungschefin angekündigt, eine weitere kurze Verschiebung des EU-Austritts zu beantragen. Die Fristverlängerung soll aber nicht über den 22. Mai hinausgehen – den Tag vor dem Beginn der Europawahl. May will verhindern, dass die Briten noch mal mitwählen müssen. Die Regierung bestätigte aber, dass sie die Wahlkommission vorsorglich mit den Vorbereitungen für eine Teilnahme beauftragt hat.
Mays Ankündigung ist eine dramatische Kehrtwende. Bisher hatte sie Zugeständnisse an die Opposition abgelehnt. Denn diese will eine weichere Form des Brexits. Labour fordert etwa, Großbritannien solle in einer Zollunion mit der EU bleiben und eine enge Anbindung an den Binnenmarkt suchen. Sollte bis zum 12. April weder der Austrittsvertrag noch eine Alternative beschlossen sein, droht ein ungeordneter EU-Austritt.
Auf EU-Seite ist unklar, ob alle 27 EU-Staats- und Regierungschefs einen Aufschub billigen würden. Skeptisch äußerte sich Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). „Aus derzeitiger Sicht gibt es überhaupt keinen Grund für eine Frist-Erstreckung, denn das Chaos in Großbritannien hat sich nicht verändert“, sagte er. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) äußerte sich zurückhaltend. Man müsse „abwarten, was die Meinungsbildung in London mit sich bringt“.
Sollten die Gespräche mit Corbyn kein Ergebnis bringen, will die Regierungschefin das Parlament verbindlich über Alternativen abstimmen lassen.
Allerdings sollen Briten auch nach einem ungeregelten EU-Austritt ohne Visum für bis zu drei Monate in die EU reisen dürfen, wenn Großbritannien EU-Bürgern dieselben Rechte einräumt. Darauf einigten sich Unterhändler des EU-Parlaments und der EU-Länder, wie der Rat der Mitgliedsländer mitteilte.