Rom/Tripolis – General Chalifa Haftar steht vor den Toren der Hauptstadt. Die Streitkräfte seiner „Libyschen Nationalen Armee“ (LNA) rücken auf Tripolis zu. Doch die bedrohliche Entwicklung hat die Garantiemächte des Westens weitgehend überrollt.
Denn deren Aufmerksamkeit ist anderweitig gebunden: Europa ist mit dem endlosen Drama um den Brexit und dessen Folgen beschäftigt, zudem nahen die Wahlen zum EU-Parlament. Großbritannien ringt mit sich selbst. Italiens Regierung, sonst in Nordafrika gut vernetzt, ist tief zerstritten und schwach wie nie, die Frühwarnsysteme laufen ins Leere. Und aus Washington, das sich unter der Präsidentschaft Trumps aus den internationalen Konfliktherden weitgehend zurückzieht, ist kaum Gegenwind zu erwarten.
Ideale Voraussetzungen also für den Kriegsherrn Haftar, die ganze Macht an sich zu reißen. Seit Ende des Gaddafi-Regimes vor acht Jahren ist es den westlichen Militärmächten nicht gelungen, das Machtvakuum zu füllen. Das Land mit seinen mehreren tausend Kilometern Mittelmeerküste versank im Chaos. Der Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Milizen, Stämmen und drei Parlamenten dauert an, zahllose Vermittlungsmissionen scheiterten. Libyen ist, so geben Diplomaten zu, ein „Failed State“. Immerhin: Der italienischen Vorgängerregierung war es gelungen, die zentrale Mittelmeerroute für die Schlepperboote weitgehend zu blockieren. Und damit, die humanitären Dramen auf hoher See drastisch zu verringern.
Doch nun schlagen Italiens Geheimdienste erneut Alarm. Die Kämpfe könnten alle Erfolge zunichtemachen. Die Folge wären unabsehbare, neue Flüchtlingswellen in Richtung der europäischen Küsten.
„Ich erwarte mir eine Fortsetzung des politischen Prozesses unter Führung der UNO“, erklärte Premier Giuseppe Conte. Schon die Formulierung zeigt die ganze Hilflosigkeit. Jener „politische Prozess“, den der Regierungschef anmahnt, tritt seit Jahren auf der Stelle. Für Italiens Populisten-Regierung sind die Nachrichten ein Desaster. Viel Zeit und Geld hatte die römische Geheimdiplomatie im Auftrag der EU darauf verwendet, ein Netzwerk aus Stammeschefs, Milizenführern, Bürgermeistern und Sicherheitsbehörden zu flechten, um den Schleppern und Schleusern das Handwerk zu legen und Flüchtlingstrecks aus dem Süden bereits vor Durchquerung der Sahara abzufangen.
Doch auch den mit viel materieller Zuwendung bedachten Mittelsmännern im Wüstenstaat ist nicht entgangen, dass Rom drastisch an diplomatischem Gewicht eingebüßt hat. Innenminister Matteo Salvini brüstet sich zwar gerne mit der erfolgreichen Eindämmung der Migration; doch seit Amtsantritt vor neun Monaten erntet er bloß die Früchte seines Vorgängers. Die von ihm verhängte Blockade der Häfen für ausländische Rettungsschiffe ist, gemessen an früheren Zahlen der Ankünfte, Symbolpolitik.
Maria Gelmini, Fraktionschefin von Forza Italia, bringt es sarkastisch auf den Punkt: „Angesichts der Gefahren sollte Salvini lieber mehr Zeit an seinem Büro verbringen, statt sich landauf landab in Polizeiuniform ablichten zu lassen.“ INGO-MICHAEL FETH