Israel vor einer Schicksalswahl

von Redaktion

Experten sehen die Wahl in Israel als richtungsweisend: Amtsinhaber Netanjahu steht wegen Korruptionsvorwürfen unter Druck und kämpft um sein politisches Überleben. Die Wahlkampagnen werden hochemotional geführt.

VON STEFANIE JÄRKEL

Tel Aviv – Der Wahlkampf ist dreckig, die Gegner überziehen sich mit Vorwürfen. Es geht um Korruption, die seelische Gesundheit des politischen Gegners und möglichen Landesverrat. Israel wählt heute ein neues Parlament – im Vorfeld stehen aber mehr Emotionen als Inhalte im Mittelpunkt. „Diese Wahlen drehen sich nicht um Innenpolitik oder den Friedensprozess, es geht um Ministerpräsident (Benjamin) Netanjahu“, sagt Menachem Klein, Politikprofessor an der Bar-Ilan-Universität bei Tel Aviv. „Es geht darum, ob die Öffentlichkeit möchte, dass Netanjahu weitermacht, trotz der Korruptionsvorwürfe gegen ihn, oder nicht.“

Netanjahu drohen in drei Fällen Anklagen wegen Korruption. Die Vorwürfe lauten auf Bestechlichkeit sowie Betrug und Untreue – es dreht sich um den Verdacht der Beeinflussung von Medien und teure Geschenke von befreundeten Milliardären. Der 69-Jährige streitet alles ab.

Der Regierungschef verweist lieber auf Erfolge im Sicherheitsbereich, was ihm den Spitznamen „Mister Security“ eingebracht hat. In den vergangenen zehn Jahren herrschte in Israel trotz des Gaza-Kriegs 2014 militärisch gesehen relative Ruhe. Doch nun macht Netanjahu sein Herausforderer Benny Gantz als Ex-Militärchef jetzt ernsthafte Konkurrenz. „Das erste Mal in einem Jahrzehnt steht Netanjahu ein Rivale gegenüber, eine Bedrohung“, sagt Klein. Und Gantz erhält mit seinem Bündnis der Mitte („Blau-Weiß“) Unterstützung durch zwei weitere Ex-Militärchefs.

Die Politikwissenschaftlerin Gail Talschir von der Hebräischen Universität sagt: „Das größte Thema in dieser Wahl ist für mich die israelische Demokratie: Bist du für eine liberale Demokratie oder für eine neokonservative, nicht liberale Demokratie?“ Dies sei die entscheidende Frage für die Wähler. „Netanjahu führt eine neokonservative Regierung, die tief illiberal ist“, sagt die Analystin. Regelmäßig attackiert der Regierungschef das Höchste Gericht, „linke“ Journalisten und Kritiker. Gegenkandidat Gantz stehe für den israelischen Konsens, für liberale Demokratie, sagt Talschir. Allerdings sei dafür die Position des 59-Jährigen bei diversen Themen nicht klar, etwa beim Konflikt mit den Palästinensern oder seine Vision der Wirtschaft. „Ich denke, dies ist der Kampf Netanjahus, es geht um Netanjahus Überleben“, sagt Talschir. Sollte er die Wahl gewinnen und anschließend angeklagt werden, mache er bereits seine Argumentationslinie deutlich: „Die Wähler wussten Bescheid und haben mich gewählt, Ihr löst mich undemokratisch ab.“

Der Wahlkampf erreicht derweil jede Woche einen neuen Tiefpunkt. „Das ist der dreckigste Wahlkampf, den wir je hatten, er verletzt alle heiligen Kühe, die es in der israelischen Gesellschaft gibt“, sagt Talschir. Medien berichteten im März, der Geheimdienst Schin Bet habe Gantz schon vor Wochen über einen iranischen Hackerangriff auf sein Smartphone informiert. Netanjahus Likud-Partei erklärte anschließend, Gantz sei nun erpressbar und könne nicht Ministerpräsident werden. Netanjahu erklärte gar, Gantz werde durch den Erzfeind Iran unterstützt. Später porträtierte die Partei Gantz als mental instabil.

Sicher ist: Es wird eng. Es geht für die Kontrahenten nicht nur darum, mit der eigenen Partei die meisten Stimmen zu holen. Entscheidend ist, welches Lager die Mehrheit hat: Links-Mitte oder Rechts. In zahlreichen Umfragen war Gantz’ Blau-Weiß zwar die stärkste Kraft – allerdings hatte ihr Links-Mitte-Block keine Mehrheit.

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