Ein belastbares Ergebnis wird erst heute erwartet. Aber Wählerbefragungen zufolge wird es eng: Zwei Fernsehsender sahen gestern Abend das rechte Siedlerlager mit Netanjahus konservativem Likud, den strengreligiösen Parteien und den rechten Parteien mit 64 bis 66 Mandaten klar vorn. Das Mitte-Links-Lager mit Gantz’ Bündnis Blau-Weiß, der Arbeitspartei, der linken Merez-Partei und den arabischen Parteien erhielt dabei 54 bis 56 Mandate. Bei einem weiteren Fernsehsender kamen beide Lager auf jeweils 60 Mandate. Für eine Regierungsmehrheit sind mindestens 61 von 120 Mandaten notwendig.
„Der rechte Block unter Führung des Likud hat eindeutig gesiegt“, sagte Netanjahu (69) am Abend. „Ich danke den israelischen Bürgern für ihr Vertrauen. Ich werde noch heute Nacht beginnen, mit meinen natürlichen Partnern eine rechte Regierung aufzubauen.“ Gantz (59) und sein Mitstreiter Jair Lapid erklärten gemeinsam: „Wir haben gesiegt! (…) Diese Wahl hat einen klaren Sieger und einen klaren Verlierer. Netanjahu hat 40 Sitze versprochen und verloren.“
Mögliche Koalitionspartner für Likud und Blau-Weiß erhielten lediglich Mandate im mittleren einstelligen Bereich: Die Arbeitspartei erhielt nur sechs bis acht Sitze. Die Partei die Neue Rechte von Erziehungsminister Naftali Bennett und Justizministerin Ajelet Schaked verpasste vermutlich den Einzug in das Parlament. Die linke Merez-Partei kommt laut Prognosen auf vier bis fünf Sitze. Wer drittstärkste Kraft wird, war zunächst unklar.
Netanjahu führte zuletzt eine Regierungskoalition mit den rechten und strengreligiösen Parteien an. Die Wahlen waren wegen einer Regierungskrise vorgezogen worden. Ursprünglich waren sie für November angesetzt.
Netanjahu ist seit 2009 im Amt und war auch von 1996 bis 1999 Ministerpräsident. Er steht wegen Korruptionsvorwürfen unter Druck. Israels Generalstaatsanwalt will in drei Fällen wegen Korruption Anklage gegen ihn erheben. Es geht um Bestechlichkeit, Untreue und Betrug. Vor einer endgültigen Entscheidung, ob der Regierungschef wirklich vor Gericht muss, hat aber noch eine Anhörung zu erfolgen. Netanjahu weist alle Vorwürfe zurück.
Gegen Mittag sorgten Berichte über versteckte Kameras in Wahllokalen in arabischen Orten für Unruhe. Netanjahus Likud-Partei habe 1200 Wahlbeobachter mit versteckten Kameras entsandt, schrieb die „Times of Israel“. Ein Vertreter der Partei sagte demnach der Nachrichtenseite, das „Problem ist das Verhalten der Leute in arabischen Gemeinden“, nicht die Maßnahmen des Likuds, „um eine faire Wahl sicherzustellen“. Die Polizei sprach zunächst lediglich von „mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten“ in Wahllokalen im Norden des Landes.
Mit einem deutlichen Rechtsruck hatte Netanjahu noch kurz vor der Wahl die Annektierung bereits israelisch besiedelter Gebiete im Westjordanland in Aussicht gestellt. Einem unabhängigen Palästinenserstaat erteilte er eine Absage.
Gantz plädiert für eine Friedensregelung mit den Palästinensern. Gleichzeitig ist er dafür, dass die großen Siedlungsblöcke im Westjordanland bei Israel bleiben. Von der israelischen Besatzung hat er sich distanziert.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte, Frieden sei in beiderseitigem Interesse. „Unsere Hand ist immer für Verhandlungen ausgestreckt, aber wir werden unsere Rechte nicht aufgeben.“ US-Präsident Donald Trump will nach der Wahl seinen Plan zur Lösung des Konflikts präsentieren. Abbas betonte erneut, er werde keinen Friedensplan der Amerikaner akzeptieren, „was auch immer das sein werde“, berichtete Wafa. Die Palästinenser lehnten den Plan ab, weil er ihre Ansprüche nach internationalem Recht umgehe, sagte Abbas.