GEORG ANASTASIADIS
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist ein typischer Vertreter der betont bürgerlich auftretenden Grünen aus dem Ländle: nah bei den Menschen, konsequent in der Sicherheitspolitik und frei vom moralischen Eiferertum mancher Berliner Parteifreunde. Deshalb lohnt es, ihm zuzuhören. Palmer hat Tübinger Grundstücksbesitzern, die ihre Flächen brachliegen lassen und damit die Wohnungsnot verschärfen, jetzt ein unmoralisches Angebot gemacht: Sie sollen bauen – oder zwangsweise an Dritte oder die Stadt verkaufen. Dazu muss er nicht einmal – wie sein Parteichef Robert Habeck – den Enteignungsparagrafen des Grundgesetzes bemühen. Es reicht der in der Praxis kaum angewandte Paragraf 176 des Baugesetzbuchs. Der regelt das Baugebot, das den Kommunen eine Handhabe gegen Bodenspekulanten bietet.
Freilich läuft auch Palmers Vorschlag am Ende auf eine mögliche Enteignung hinaus. Wenn man der Meinung ist, dass die Politik im verfassungsrechtlichen Kräftefeld zwischen Eigentumsrecht und der Allgemeinwohlverpflichtung das verhältnismäßigste Mittel wählen sollte, wäre es richtig, erst mal der von der Koalition vereinbarten „Grundsteuer C“ eine Chance zu geben. Die Steuer, über die der Bundestag diese Woche abstimmt, soll bauunwilligen Grundbesitzern, die lieber auf Wertzuwächse warten, einen Teil der Spekulationsgewinne nehmen. Ob dieser sanfte Druck ausreicht, muss man sehen. Wer will, kann danach immer noch nach drastischeren Maßnahmen rufen.
Das Grundübel bleibt, und es ist von der Politik, die jetzt die Enteignungskeule schwingt, selbst verursacht: Der Zins ist faktisch abgeschafft. Solange das so bleibt, behalten Bodenbesitzer lieber ihren Grund, als ihn zu verkaufen, das Geld zur Bank zu tragen und dort Strafzinsen zu zahlen.
Georg.Anastasiadis@ovb.net