Sterbehilfe-Verbot auf Prüfstand

von Redaktion

Seit gut drei Jahren steht Suizidhilfe als Dienstleistung unter Strafe. Unter Palliativmedizinern weckt das die Angst, dass eines Tages die Polizei vor der Tür steht. Nun muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

VON ANJA SEMMELROCH

Karlsruhe/München – Wenn man sich so etwas aussuchen könnte, würde Karl B. am liebsten bei einer Partie Schafkopf tot umkippen. Von einem Moment auf den anderen, ohne Schmerzen, mit einem letzten Blick auf die schönen bayerischen Berge. Aber so läuft es bekanntlich in den wenigsten Fällen, und deshalb hat der 83-Jährige seit Längerem vorgesorgt. Als Notausgang, für den Fall der Fälle, dass es wirklich unerträglich werden sollte. „Es gibt natürlich Mittel und Wege, sich da selber zu helfen“, sagt er. Ein Medikament im Nachtkästchen? „Ich werde mich sicher nicht vor den Zug werfen.“ Mehr sagt er nicht.

Mehr zu sagen ist heikel geworden, deswegen will B. seinen richtigen Namen nicht einmal abgekürzt in den Medien lesen. Seit Dezember 2015 ist die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ in Deutschland eine Straftat.

Der Gesetzgeber hatte professionelle Sterbehelfer im Visier, wie den Hamburger Verein Sterbehilfe Deutschland von Ex-Justizsenator Roger Kusch. Oder den Berliner Arzt Uwe-Christian Arnold, der nach eigenen Angaben mehrere hundert Menschen beim Suizid begleitet hat. Aber von Paragraf 217 Strafgesetzbuch fühlen sich auch Palliativmediziner bedroht. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt von Dienstag an zwei volle Tage über eine ganze Reihe von Klagen.

„Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, ist der genaue Wortlaut. Der Bundestag hat es sich mit dem Thema nicht einfach gemacht. Vier Vorschläge standen zur Auswahl. Die Abgeordneten konnten ohne Fraktionszwang entscheiden.

Die Menschen sollen sich nicht an organisierte Formen des Suizids gewöhnen, heißt es in dem Entwurf, der sich durchsetzt. Niemand, der alt oder krank ist, soll sich zum Sterben gedrängt fühlen.

Den Politikern geht es erkennbar um Sterbehilfe als Dienstleistung, um Leute, die eine Art Geschäftsmodell daraus machen, Lebensmüden ein tödliches Medikament zu organisieren oder einen Raum zum Sterben. Der Entwurf „kriminalisiert ausdrücklich nicht die Suizidhilfe, die im Einzelfall in einer schwierigen Konfliktsituation gewährt wird“, steht da. Angehörige oder „Nahestehende“ bleiben straffrei.

Die Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) sehen deshalb keine negativen Auswirkungen. Der Deutsche Anwaltverein dagegen hält Paragraf 217 aus vielen Gründen für verfassungswidrig – unter anderem, weil „geschäftsmäßig“ im Juristendeutsch eben nicht gewerblich bedeutet, sondern so viel wie „auf Wiederholung angelegt“. Geld muss also nicht im Spiel sein.

Matthias Thöns ist regelmäßig mit Sterbewünschen konfrontiert. Mit seinem Team betreut der Palliativmediziner in Witten im Ruhrgebiet todkranke Menschen im Hospiz oder daheim. „Dass jemand verzweifelt ist und nicht mehr will, das habe ich bei jedem vierten Patienten, Pi mal Daumen“, sagt er. Trotzdem ist es für ihn Alltag, Opiate in hohen Dosen zu verschreiben – damit zur Linderung etwas im Haus ist, wenn Atemnot, Schmerzen und Angst übermächtig werden. Potenziell sind diese Medikamente tödlich. Seit es Paragraf 217 gibt, hat Thöns dabei kein gutes Gefühl. „Jetzt nimmt der sich das Leben – ohne mein Wissen und Wollen. Dann habe ich ein Ermittlungsverfahren am Bein.“ Der 52-Jährige klagt in Karlsruhe, weil er auch in krassen Ausnahmefällen, in denen die Palliativmedizin an Grenzen stößt, Menschen helfen möchte. „Was ich kriminell finde, ist, dass man solche Patienten alleine lässt.“

Das Bundesverwaltungsgericht hat 2017 ein bahnbrechendes Urteil gesprochen. „Im extremen Einzelfall“ dürfe der Staat einem unheilbar Kranken den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren, das diesem „eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht“.

Seither sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 125 Anträge eingegangen. 91 sind bereits abgelehnt, genehmigt wurde kein einziger. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat diese Linie vorgegeben. Er wartet die Überprüfung durchs Gericht ab.

Karl B. hat nichts mit dem Verfahren zu tun, aber er wäre froh, wenn die Kläger Erfolg haben. Vor zwei Jahrzehnten hat er seine Tochter viel zu jung an den Krebs verloren. Die letzten Wochen auf der Intensivstation waren für ihn und seine Frau die schlimmsten. „Wir hätten uns so gewünscht, dass man sie hätte sterben lassen.“

Wo endet Hilfe, wo wird es ein Gewerbe?

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