EU-Machtkampf – offen und verdeckt

von Redaktion

Manfred Weber (CSU) gibt sich siegesgewiss. Doch selbst ein Erfolg der Konservativen bei der Europawahl sichert dem Niederbayern den Posten des EU-Kommissionspräsidenten nicht. In Brüssel kursieren schon andere Szenarien.

VON MARCUS MÄCKLER UND ALEXANDER WEBER

München – Er ist quasi überall. Seit Wochen reist Manfred Weber quer durch die EU, von Portugal nach Rumänien, von Italien nach Dänemark. Und wo er auf seiner „Zuhör-Tour“ auch hinkommt, dürfen ihm die Bürger ihr Herz ausschütten. Der CSU-Politiker will die EU vermessen – geografisch und emotional –, bevor er womöglich einer ihrer mächtigsten Männer wird.

Weber will Chef der EU-Kommission werden und glaubt fest an seinen Sieg. Seine Karten sind nicht schlecht, aber fix ist nichts. In Brüssel und Berlin machen Gerüchte die Runde. Eines besagt, Kanzlerin Angela Merkel könnte nach der Wahl nach dem Posten greifen, um sich einen sanften Ausstieg aus Berlin zu verschaffen. Wahrscheinlich ist das aber nicht.

Über ein anderes Szenario wird indes schon länger spekuliert. Danach würde nicht Weber, sondern der EU-Brexit-Beauftragte Michel Barnier, ein Franzose, Kommissionspräsident werden. Im Gegenzug, heißt es, könnte ein Deutscher EZB-Präsident werde, etwa Bundesbankchef Jens Weidmann. Für Weber bliebe der Posten des Parlamentspräsidenten übrig.

Dem arg strapazierten Verhältnis zwischen Berlin und Paris täte eine solche Lösung ganz gut. Sie entspräche wohl auch den Wünschen der beiden Regierungschefs. Die Kanzlerin sähe gerne einen Deutschen an der EZB-Spitze, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würde ebenso gerne einen Franzosen auf den Chefsessel der Kommission hieven. Er gilt ohnehin nicht als großer Weber-Fan.

Aber so ein Mauschel-Deal ginge nicht konfliktfrei über die Bühne; er wäre eine Kampfansage an das EU-Parlament. Das hat nämlich per Beschluss klargemacht, dass es nur einen Kommissionschef akzeptiert, der im Wahlkampf als Spitzenkandidat einer Gruppierung angetreten war. Zwar liegt das formale Vorschlagsrecht für den Präsidenten-Sessel der 30 000-köpfigen Mammutbehörde bei den Staats- und Regierungschefs – doch das Parlament hat einen mächtigen Hebel: Es kann die vorgeschlagene Kommission ablehnen.

Ohnehin ist das Verhältnis zwischen Rat und Parlament derzeit angespannt. Das Taktieren des EU-Rates mit immer neuen Verlängerungen des Austrittsdatums beim Brexit sorgt im Parlament für mächtig Ärger und Zorn, wie Insider in Straßburg unserer Zeitung berichten.

Um eine quälend lange Hängepartie wie bei der Kommissionsbildung im Jahr 2014 zu verhindern, plant die Abgeordnetenversammlung für den Juli neben der konstituierenden Sitzung zu Monatsanfang noch eine zweite, um den neuen EU-Kommissionspräsidenten zu wählen. Der könnte sich dann frühzeitig um die personelle Zusammensetzung seiner Kommission und deren Anhörung vor dem Parlament kümmern.

Bleiben die Briten aber, wie es der EU-Gipfel letzte Woche Premierministerin May offiziell angeboten hat, bis zum 31. Oktober in der EU, würde das Vereinigte Königreich nicht nur an der Europawahl teilnehmen. Die Briten dürften dann auch die neue EU-Spitze mitbestimmen, bevor sie womöglich wenige Wochen später ausscheiden.

Für Manfred Weber sind das schlechte Nachrichten. Denn wie es aussieht, werden die Wähler den in London regierenden Tories im Brexit-Chaos einen Denkzettel verpassen. Zwar gehören sie der konservativen EVP-Fraktion, für die Weber antritt, nicht an. Aber laut einer Umfrage liegt die oppositionelle Labour-Partei bei starken 37,8 Prozent. Ihre Stimmen würden der sozialdemokratischen Fraktion um den niederländischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans zugeschrieben.

Das, so die Furcht im konservativen Lager, könnte die Mehrheitsbeschaffung für die Volkspartei erschweren. Zumal die Sozialdemokraten auch andernorts an Stärke gewinnen. In Finnland sind sie gerade stärkste Kraft geworden, wenn auch nur mit hauchdünnem Vorsprung vor den Rechtspopulisten. Die wiederum werden im nächsten EU-Parlament stärker vertreten sein als bisher, weshalb Weber ohne Stimmen von Sozialdemokraten, Liberalen oder Grünen ohnehin keine Chance hat.

Im EVP-Lager hofft man deshalb, dass Theresa Mays heimliche Hoffnung in Erfüllung geht, bis zum Vorabend der Europawahl ab 23. Mai doch noch eine Mehrheit im Unterhaus für ihren Brexit-Vertrag zu erhalten. Ihr Kalkül: Angesichts einer drohenden Wahl-Teilnahme könnte manch hartgesottener Brexiteer doch noch umschwenken. Das wiederum wären gute Nachrichten für Weber.

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