Helsinki – „Das erste Mal seit 1999 sind wir Finnlands größte Partei!“, rief Antti Rinne den jubelnden Genossen auf der Wahlparty in Helsinki zu und erklärte sich zum Gewinner der Parlamentswahlen. Knapper als mit 17,7 Prozent und 40 der insgesamt 200 Sitze hätte er kaum siegen können. Um ein Haar verfehlten sowohl die rechtspopulistischen „Wahren Finnen“ mit 17,5 als auch die rechtsliberale Sammlungspartei (17 Prozent) den Spitzenplatz.
Hauchdünne Siege sind in Finnlands Wahlgeschichte keine Seltenheit, weiß auch Rinne. Er versprach, binnen eines Monats – also vor den EU-Wahlen – eine über vier Jahre tragfähige Regierung zusammenzuzimmern. In Finnland regieren traditionell zwei der drei großen Parteien Sozialdemokraten (SDP), Zentrum und Sammlungspartei, während die dritte Partei, nun das abgewählte Zentrum des marktliberalen Ex-Premiers Juha Sipilä, in die Opposition geht.
Rinne ist 56, sein Juraexamen legte er in Rekordzeit ab. Er ist bereits das dritte Mal verheiratet, hat zwei Kinder und Enkelkinder. Als Chef mehrerer großer Gewerkschaften griff er gern zum Streik als Verhandlungsmethode. Ein bisschen ist er Finnlands etwas burschikosere Version eines Bernie Sanders. „Die Sozialdemokraten müssen wieder eine Linkspartei sein, eine Partei die gesellschaftliche Veränderungen vorantreibt“, sagte er im Wahlkampf.
Als Arbeitnehmervertreter hat er sich bei Arbeitgebern den Ruf eines „gangsterhaft“ harten Verhandlungsgegners eingebracht. Letztere stöhnten, als der zum linken Flügel der Sozialdemokraten gehörende Rinne 2014 seine verkappt rechtsliberal orientierte Vorgängerin Jutta Urpilainen ausstach und als Minister für Finanzen walten durfte. Rinne stehe der wirtschaftlichen Erholung des jahrelang kriselnden Landes entgegen, befürchteten marktliberale Kräfte. Doch in der Regierung fiel er nicht großartig auf. In der Tat ist der in Helsinki aufgewachsene Spitzengenosse, der privat Klavier und Klarinette spielt, eigentlich ein Gegner von strenger angebotsorientierter Sparpolitik und Arbeitsmarktflexibilisierungen, die der seit 2015 amtierende, nun ausscheidende Premier Juha Sipilä seinem Land gegen die Wirtschaftskrise verordnet hatte.
Rinne steht für nachfrageorientierte Politik, mehr Staat, Privatisierungs- und Kürzungsstopp im Sozial- und Gesundheitswesen. Er kündigte höhere Steuern an, etwa auf Kapitalgewinne, aber auch für Endverbraucher. Er hat eine flüchtlingsfreundlichere Einwanderungspolitik angekündigt und ließ sich da nicht von den guten Umfragewerten der „Wahren Finnen“ beeindrucken, als Sexübergriffe auf Finninnen durch Flüchtlinge zum Thema wurden. Er will den Zuzug von Angehörigen erleichtern, die Maximalgrenze für humanitäre Flüchtlinge soll weg. Finnland leidet mehr als andere EU-Länder an der Überalterung der Gesellschaft und einer niedrigen Geburtenrate.
Entsprechend dürfte es schwer für ihn werden, nun die Unterstützung der einwanderungskritischen Wahren Finnen in Betracht zu ziehen. Die haben allerdings bereits in der Wahlnacht Kooperationsbereitschaft signalisiert. ANDRE ANWAR