In normalen Zeiten konnten wir Deutsche meistens froh sein, die Briten in der EU zu haben. Sie galten als pragmatisch, klarsichtig und in finanziellen Fragen treue Partner Berlins gegen die Ausgabenfreude des „Club Med“ der Union. Aktuell hält sich diese Freude in Grenzen. Erstens sind die Zeiten längst nicht mehr normal, und zweitens scheinen die Tugenden der Briten in den Wirren des Brexits verschüttet worden zu sein.
Das zerstrittene Gruselkabinett der Premierministerin May droht mit seinem Dauer-Scheitern nicht nur das eigene Land hart zu treffen. Der Londoner Evergreen „Bye bye, but not now“ sorgt für erhebliche Misstöne in Brüssel. Es wäre in der Tat eine Farce: Die seit fast drei Jahren austrittswilligen Briten könnten an den Europawahlen teilnehmen, erneut (Kurzzeit?-)Abgeordnete nach Brüssel entsenden und dann zum Zünglein an der Waage werden, wenn Europa seine Spitzenposten für die Zukunft besetzt. Und Brüssel muss ohnmächtig zuschauen, weil die eigenen Statuten dies vorschreiben.
Als wäre die Neubesetzung des europäischen Spitzenkarussells mit fünf Posten nicht schon kompliziert genug. Auch aus deutscher Sicht. Mit Manfred Weber greift erstmals ein Bayer offiziell nach dem Vorsitz der mächtigen EU-Kommission. Doch inoffiziell gilt vielen Konservativen und Wirtschaftsliberalen in Deutschland ein Posten als noch erstrebenswerter: der des künftigen EZB-Präsidenten und Herrn über die Zinspolitik.
Alexander.Weber@ovb.net