Im Ruhrgebiet, wo ich groß geworden bin, gab es immer schon etwa gleich viele katholische wie evangelische Familien. Zu meiner Zeit nach dem Krieg waren wir in den Volksschulen noch getrennt, aber schon im Gymnasium alle zusammen. Ob jemand aus einer katholischen oder evangelischen Familie kam, war uns kaum bewusst.
Zu Ostern aber hatten unsere katholischen Altersgenossen, ganz gleich, ob Mädchen oder Junge, zur Beichte zu gehen. Das erregte doch unsere Phantasie, was es da wohl zu beichten geben könnte? Bei den Jungen war es ja eher denkbar, dass sie etwas ausgefressen hatten, aber die jungen Mädchen waren so unschuldig, dass wir überzeugt waren, sie müssten eine Sünde erfinden, um im Beichtstuhl bestehen zu können.
Das kam uns zugute, als wir älter wurden und gerne erste zarte Bande zum weiblichen Geschlecht knüpfen wollten. Einige behaupteten, sie hätten schon eine Freundin. Wer so etwas im Ruhrgebiet verkündet, wird sofort im schönsten Ruhrdeutsch gefragt: „Haste se schon geküsst oder darfste se nicht küssen?“ Beneidet dabei, wer einen Flirt mit einem katholischen Mädchen hatte. Für uns stand nämlich fest, dass ein katholisches Mädchen sich leichter küssen lässt. Denn sie hatte ja, anders als die Protestantin, die Möglichkeit, schon in der Osterbeichte sich von der Last dieser Sünde befreien zu lassen.
In diesen Jahren, als ich Teenager war, feierten wir die Ostertage als großes Fest auf dem Lande in der weitesten Familie. Es begann am Karsamstag mit einem Essen an langer Tafel. Unter uns Jungen ging es dabei darum, wer am meisten Eier folgenlos auf einen Satz verzehren konnte. Und am Sonntag fand dann das Ostereier-Suchen für die Kleinsten der Großfamilie statt. Aber auch für uns Teenager versteckte ein pfiffiger Onkel, Junggeselle seines Zeichens, manche Eier und Süßigkeiten so geschickt in den entlegensten Stellen des Hof-Anwesens, dass man Stunden und noch am nächsten Tag danach suchen konnte in den Scheunen und hinter den Hecken. Und wenn dann eine inzwischen erblühte Cousine, die man lange nicht gesehen hatte, mitsuchte, konnte es sein, dass sie, obwohl evangelisch, sich auch zu einem zarten Kuss bereitfand. So lernten wir bei dieser Gelegenheit, dass beim Küssen der Unterschied zwischen evangelischen und katholischen Mädchen – Beichte hin, Beichte her – doch wohl nicht so groß sein konnte.
Zurück zu Hause auf den Schulwegen und in den Parkanlagen kam nun die schöne Zeit, wo alles blühte bis zum Flieder, der zu Pfingsten erschien. Da wurden es immer mehr von uns, die glaubhaft versicherten, dass sie ihre Freundin hatten küssen dürfen. Aber natürlich nur mit dem, was man im Ruhrgebiet ein „Herz-Jesu-Küsschen“ nennt. Das war wieder katholisch, aber doch wunderschön im Frühling des Lebens, der zu Ostern für uns begonnen hatte.
Schreiben Sie an:
ippen@ovb.net