München – Er hat es geahnt – und vermutlich hat er es auch so gewollt. „Der shitstorm wird nicht vermeidbar sein“, schreibt Boris Palmer bei Facebook und schiebt dann ein paar Sätze hinterher, die tatsächlich jede Menge Reaktionen nach sich ziehen.
Palmer, im Hauptberuf Oberbürgermeister des hübschen Städtchens Tübingen, ist Grüner – und ein schmerzfreier Provokateur. Anfang des Jahres riet er seiner Partei, auf AfD-Wähler zuzugehen. Er forderte ein Kopftuch-Verbot für Mädchen an Schulen und klagte über Probleme mit „jungen geflüchteten Männern“. Das ist so ziemlich das Gegenteil von grünem Mainstream, der Partei-Spitze bereiten solche Aussagen denn auch heftige Magenkrämpfe. Palmers jüngste Provokation ist da kaum besser.
In dem Facebook-Post beklagt sich der 46-Jährige über eine Anzeige. mit der die Deutsche Bahn auf ihrer Homepage wirbt. Zu sehen sind sechs Bahnfahrer, darunter der dunkelhäutige TV-Koch Nelson Müller, die türkischstämmige Moderatorin Nazan Eckes und Ex-Rennfahrer Nico Rosberg. Palmer findet diese Auswahl „nicht nachvollziehbar“ und fragt: „Welche Gesellschaft soll das abbilden?“ Später schreibt er: Sechs Bilder von Personen mit Migrationshintergrund seien jedenfalls kein Abbild unserer Gesellschaft.
Palmer sagt von sich selbst, er gehe gerne da hin, wo es wehtut. Mit seinem Post hat er bei vielen die Schmerzgrenze erreicht. Einige Kommentatoren bei Facebook reagierten mit Zuspruch – die meisten mit dem Gegenteil. Die Vorwürfe reichen von Aufmerksamkeitsdefizit bis Rassismus. Ein Sprecher der Bahn glaubt, Palmer habe „zum wiederholten Male Probleme mit einer offenen und bunten Gesellschaft“. Diese Haltung lehne man ab. Nelson Müller schrieb, er sei „tief bestürzt“. Und Nico Rosberg twitterte: „Herr Palmer, Sie wollen spalten & Menschen ausgrenzen. Nicht mit mir.“
Auch in Palmers eigener Partei ist das Verständnis gering. Die Anzeige stelle schlicht die gesellschaftliche Realität da, sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Die Bahn sei für alle da. „Wer in den Zug steigt, ist uns herzlich egal.“ Der Tübinger Landtagsabgeordnete Daniel Lede Abal nannte den Post „völlig daneben“. Palmer müsse sich „jetzt überlegen, ob er Oberbürgermeister bleiben kann“. Doch es gab auch Lob. AfD-Chef Alexander Gauland erklärte, er sei Palmer „dankbar, dass er diese wichtige Debatte angestoßen hat“.
Palmer mag dieses Spiel und er hat Freude daran, dass über seine Aussagen – er selbst spricht von „Brimborium“ – so heftig diskutiert wird. Gestern legte er noch mal nach. Hätte die Bahn sechs alte weiße Männer gezeigt, schreibt er, dann hätte sie sofort ein Problem gehabt. Sechs Bilder von Menschen mit Migrationshintergrund zu zeigen, sei da kaum besser. Man könne als Deutscher ohne Migrationshintergrund „den Eindruck bekommen, dass man bei der Auswahl der Bilder nicht mehr angesprochen werden soll“.
Für gewöhnlich genießt Palmer die Öffentlichkeit, die er so immer wieder herstellt. Diesmal scheint es aber doch etwas zu viel gewesen zu sein. Er habe eine Sache, zu der er stehe, falsch kommuniziert, sagte er gestern im Radioprogramm „SWR Aktuell“. „Weil ich mir nicht mehr als eine Minute Zeit genommen habe, um die Wirkungen meiner Formulierungen zu durchdenken“. Ihm gehe es da wie Grünen-Chef Robert Habeck, der vor einigen Wochen über einen unbedachten Twitter-Beitrag gestolpert war.
Habeck hat Twitter abgeschworen – Palmer will nun eine Facebook-Pause machen. Zumindest bis zur Kommunalwahl am 26. Mai. mmä/dpa