„Onkel Joe“ will es zum dritten Mal wissen

von Redaktion

Ex-Vizepräsident Biden will heute seine Präsidentschafts-Kandidatur für die Demokraten verkünden

Washington – Es ist eines der am schlechtesten gehüteten Geheimnisse in Washington. Heute wird der Demokrat Joe Biden, 76 Jahre alt und unter Barack Obama acht Jahre lang Vizepräsident der USA, seine Kandidatur für das Wahljahr 2020 durch die Schaltung von Videos bekannt geben. Das berichten übereinstimmend führende US-Medien unter Berufung auf enge Freunde und die Familie des Politikers, dem exzellente außenpolitische Kenntnisse bescheinigt werden.

Biden gehört schon seit Monaten, obwohl er noch keine einzige Rede gehalten und keinen Auftritt absolviert hatte, zum Favoritenkreis im großen, nun fast 20 Bewerber umfassenden Feld der möglichen demokratischen Herausforderer von Donald Trump. Der Video-Ankündigung soll dann am Montag eine erste große Wahlkampfveranstaltung in der einstigen Stahlarbeiter-Metropole Pittsburgh erfolgen. Die Stadt liegt im Bundesstaat Pennsylvania, den Trump im Jahr 2016 entgegen der Prognosen der meisten Demoskopen auf seinem Weg ins Weiße Haus gewinnen konnte.

Dass Biden ausgerechnet in Pittsburgh beginnen will, ist kein Zufall. Sein Auftritt soll von Treffen mit Gewerkschaftsvertretern begleitet werden, die das Rückgrat der Bewerbung von „Onkel Joe“ bilden sollen, wie Biden scherzhaft in der eigenen Partei aufgrund seines jovialen Stils genannt wird. Unter den bisherigen Bewerbern verfügt der langjährige Senator aufgrund seiner Prominenz über den größten Wiedererkennungswert, zu dem auch die beiden gescheiterten Präsidentschafts-Kandidaturen der Jahre 1988 und 2008 beigetragen haben. Das dürfte beim Einsammeln von Spendengeldern helfen. Begleitet wird seine Entscheidung, ein drittes Mal den Hut in den Ring zu werfen, allerdings auch von mehreren kritischen Kernfragen, die einen Erfolg maßgeblich mitbestimmen werden.

Die erste lautet: Wie schon Hillary Clinton, die große Verliererin des Jahres 2016, steht Biden für das politische Establishment in Washington und nicht für jenen frischen Wind, wie ihn Kandidaten wie Kamela Harris oder Beto O‘Rourke verkörpern. Wird ihm deshalb die Basis mehrheitlich folgen?

Die zweite Frage hat mit Bidens Vorliebe für Volksnähe zu tun, nachdem in den letzten Monaten mehrere Frauen angegeben hatten, der Demokrat habe sie mit unerwünschten Berührungen und Umarmungen in eine unangenehme Situation gebracht. Biden hatte behauptet, er habe sein Verhalten niemals als unangemessen betrachtet, es gehöre einfach seit Jahrzehnten zu seinem Stil. Doch wie wird die „Me too“-Generation dies bewerten?

Freunde Bidens haben allerdings auch darauf hingewiesen, dass mit Donald Trump ein Mann zum Präsident gewählt wurde, dem von einem Dutzend Frauen sexuelle Übergriffe vorgeworfen worden sind – und dass bei Biden das Suchen von Nähe stets ganz anderen Motiven entsprungen sei.

Völlig unklar ist bisher, wie das demokratische Urgestein im kommenden Jahr politisch punkten will. Noch gibt es kaum Erkenntnisse über seine Programmatik – abgesehen von der naheliegenden Absicht, dem Präsidentenamt nach der ersten so kontrovers verlaufenen Amtszeit Trumps wieder staatsmännische Statur zu verleihen und das Verhältnis zu den vielfach verprellten Alliierten, darunter auch Deutschland, zu verbessern. Bidens traditionelle Nähe zu den Gewerkschaften könnte ihm helfen, gerade im „Rust Belt“ – dem Industriegürtel der USA, wo Hillary Clinton 2016 nicht überzeugte – wichtige Stimmen zu sammeln.

FRIEDEMANN DIEDERICHS

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