Sozialistische Visionen im Kreuzfeuer der Kritik

von Redaktion

Juso-Chef Kevin Kühnert eckt mit steilen Thesen zur Enteignung an – und schadet damit der SPD

Berlin – Mit seinem radikalen Vorstoß für eine Kollektivierung von Betrieben und Einschränkungen beim Immobilienbesitz hat der Vorsitzende der SPD-Jusos, Kevin Kühnert, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Auch in der SPD-Parteiführung ging man auf Distanz – und suchte das Thema rund drei Wochen vor der Europawahl möglichst tief zu hängen.

Kühnert schwimmt gern gegen den Strom. Einem breiten Publikum wurde der Juso-Chef bekannt, als er nach der Bundestagswahl im Herbst 2017 vehement gegen eine Neuauflage der GroKo Front machte und damit auch die SPD-Spitze angriff. Nun macht der 29-jährige gebürtige Westberliner erneut von sich reden. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ über seine Vorstellungen vom Sozialismus plädiert Kühnert für eine „Kollektivierung“ großer Firmen wie etwa BMW. Ohne Kollektivierung sei „eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar“, erklärte Kühnert. Ihm sei „weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW ,staatlicher Automobilbetrieb‘ steht oder ,genossenschaftlicher Automobilbetrieb‘, oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht“. In jedem Falle müsse die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werden, so Kühnert.

Der Autobauer BMW ist eine Aktiengesellschaft und im Leitindex Dax notiert. Im Prinzip kann also jeder Bürger BMW-Aktien kaufen. Größter Anteilseigner mit knapp 47 Prozent ist die Industriefamilie Quandt.

Zugleich will Kühnert den Besitz von Immobilien beschränken. Jeder solle „maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt“. Noch besser seien genossenschaftliche Lösungen, so Kühnert. Auf die Frage, ob es Ziel sei, dass es gar keine privaten Vermietungen mehr gäbe, meinte Kühnert: „Das wäre der Optimalfall, natürlich“.

In den deutschen Großstädten wird gegenwärtig fast die Hälfte aller Mietwohnungen durch kleine Privateigentümer vermietet. Wohl auch deshalb gingen zahlreiche SPD-Politiker auf Distanz zu Kühnert. Besonders drastisch wurde der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs: „Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht?“ SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil versuchte, die Debatte tiefer zu hängen: Kühnert spreche über eine „gesellschaftliche Utopie“. Er rate daher „zu mehr Gelassenheit in der Diskussion“, so Klingbeil.

Parteivize Ralf Stegner dagegen zeigte zum Teil Verständnis für Kühnert. „Er kritisiert Missstände in der Gesellschaft, die zutreffend beschrieben sind. Wir haben doch Menschen, die mit Wohneigentum spekulieren, wir haben skandalöse Miethöhen“, sagte Stegner unserer Redaktion. Einschränkend fügte er aber hinzu, dass Kühnerts Vorschläge „deutlich“ über die Beschlusslage seiner Partei hinausgingen. So wolle die SPD „weder eine Vergesellschaftung von Betrieben, noch will sie die Vermietung von Wohnungen untersagen“, stellte Stegner klar.

Die bayerische SPD-Chefin Natascha Kohnen verteidigte Kühnert. „Ein Vorsitzender der Jungsozialisten darf über die Zusammenhänge von Kapitalismus und sozialer Demokratie frei querdenken und das ist sein Recht“, schrieb sie auf Facebook. „Daraus sollte keine hysterische Debatte bei den anderen Parteien entstehen.“

Für Union und FDP waren Kühnerts Thesen gestern eine Steilvorlage: Mit solchen Vorstößen mache sich die SPD lächerlich und verunsichere gleichzeitig diejenigen, die Wohnraum schaffen wollten, kritisierte CSU-Generalsekretär Markus Blume. Seine FDP-Amtskollegin Linda Teuteberg forderte die SPD auf, „dringend ihr Verhältnis zum Eigentum zu klären“.

Kevin Kühnert selbst verteidigte sich gestern mit einem Verweis auf das aktuelle Grundsatzprogramm der SPD. Dort heißt es: „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist“. Vom einstigen SPD-Kanzler Helmut Schmidt ist freilich auch der Satz überliefert: „Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen“. STEFAN VETTER

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