Quittung für das Brexit-Chaos

von Redaktion

Bei Kommunalwahlen in England erleiden Tories wie Labour herbe Verluste – Grüne und Liberale profitieren

London – Bei den britischen Kommunalwahlen sind die regierenden Konservativen wegen des Brexit-Streits massiv abgestraft worden. Sie verloren fast 1000 Sitze im Vergleich zu den Wahlen 2015. Auch die größte Oppositionspartei Labour musste bei den Abstimmungen in weiten Teilen Englands und Nordirlands schmerzhafte Verluste hinnehmen. Klare Gewinner sind die EU-freundlichen Liberaldemokraten. Die Grünen und einige Unabhängige konnten ebenfalls zulegen.

„Das Bild ist klar“, räumte Premierministerin Theresa May am Freitag bei einer Parteiveranstaltung in Wales ein. „Dies ist eine schwierige Zeit für unsere Partei und die Wahlergebnisse sind ein Symptom hierfür.“ Ein Mann rief May zu: „Warum treten Sie nicht zurück?“ Die frühere Entwicklungshilfeministerin Priti Patel sagte angesichts des Debakels: „May ist ein Teil des Problems. Wir können einfach nicht so weitermachen. Wir brauchen einen Wechsel.“

Insgesamt ging es bei den Kommunalwahlen um mehr als 8000 Sitze lokaler Gremien. Gewählt wurde in 248 englischen Bezirken. In einigen davon ging es darum, alle Sitze neu zu vergeben, in anderen stand nur ein Teil zur Wahl. In Nordirland wurden die Gremien in allen elf Bezirken des Landesteils komplett neu besetzt. In sechs mittelgroßen und kleineren Städten wurden zudem neue Bürgermeister bestimmt. In Schottland, Wales und in London wurde nicht gewählt.

Nach Auszählung fast aller Bezirke verlor Labour ungefähr 120 Sitze im Vergleich zu vor vier Jahren. Die EU-feindliche Partei Ukip verbuchte über 80 Sitze weniger. Die Liberaldemokraten gewannen hingegen etwa 540 dazu.

Politikwissenschaftler John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow sprach von einer Bestrafungsaktion der Wähler: „Die Labour-Partei verliert dort, wo sie historisch stark ist. Und die Konservativen verlieren dort, wo sie historisch stark sind.“ Außenminister Jeremy Hunt nannte die Verluste eine „Ohrfeige ins Gesicht der beiden großen Parteien“.

Eigentlich hätte Großbritannien die Europäische Union bereits Ende März verlassen sollen. Die Brexit-Frist wurde inzwischen bis zum 31. Oktober verlängert, nachdem May dreimal im Parlament mit ihrem Austrittsabkommen gescheitert war.

Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte lange Zeit nicht klar Position zum Brexit bezogen, was ihm starke Kritik einbrachte. Am Freitag warf er der Konservativen Partei und den Liberaldemokraten vor, gemeinsam für einen jahrelangen Sparkurs zu Lasten der Bevölkerung verantwortlich zu sein. Die Liberaldemokraten waren von 2010 bis 2015 Koalitionspartner der Konservativen unter Premierminister David Cameron, was sie etliche Wähler und Mitglieder kostete.

Der Politikwissenschaftler Curtice warnte, dass sich die Liberaldemokraten angesichts ihres angeschlagenen Images nicht zu früh freuen sollten. „Sie sollten lieber billigen als teuren Champagner trinken – vielleicht sogar lieber Prosecco.“ Der Chef der Liberaldemokraten, Vince Cable, jubelte hingegen: „Die Drei-Parteien-Politik ist zurück.“

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