Rettung in nur 60 Tagen

von Redaktion

Erst zogen sich die USA zurück, jetzt teilweise auch der Iran. Das internationale Atomabkommen mit Teheran droht, endgültig zu platzen. Präsident Hassan Ruhani lässt Europa nun 60 Tage Zeit, es zu retten – und droht mit Abertausenden von Flüchtlingen.

VON MARCUS MÄCKLER

München – Das Datum ist natürlich alles andere als Zufall. Am 8. Mai 2018 verkündete US-Präsident Donald Trump den Ausstieg seines Landes aus dem mühsam ausgehandelten Atom-Deal mit dem Iran. Gestern, genau ein Jahr später, zog Teheran nach. Präsident Hassan Ruhani informierte die übrigen fünf Vertragspartner – offenbar per Schreiben –, dass der Iran sich in den nächsten zwei Monaten an Teile des Abkommens nicht halten wird. In einer Kabinettssitzung sagte er: „Wir können ja nicht alleine ein internationales Abkommen umsetzen, wenn die Gegenseite dies nicht tut.“

Konkret geht es um zwei Punkte: die Zusage, nur 300 Kilo des auf 3,67 Prozent angereicherten Urans zu behalten, das für die Nutzung in Kraftwerken ausreicht. Iran produziert es selbst – und verkauft den Überschuss bislang an Drittländer. Zudem will Ruhani die vereinbarten Beschränkungen für Produkte aus dem Schwerwasserreaktor in Arak aussetzen. Dort kann theoretisch Plutonium produziert werden.

Das klingt zunächst mal radikaler, als es ist. Um das gefürchtete Atomprogramm wieder aufzunehmen, wären viel weitreichendere Maßnahmen nötig. Der Schritt ist daher als Warnschuss zu verstehen. Ruhani betont: einer, der im Einklang mit dem Deal ist. Man mache nur von dem „legitimen Recht Gebrauch, einem Vertragsbruch zu entgegnen“, erklärte er mit Blick auf zwei Artikel des Papiers.

Das Abkommen war 2015 nach zwölf Verhandlungsjahren geschlossen worden. Es soll den Iran hindern, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen und garantiert im Gegenzug eine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen. Die USA stiegen aber mit dem Argument aus, das Land destabilisiere gezielt die Region und finanziere Terroristen. Es folgten scharfe Sanktionen, seit Mai versucht Washington, den Ölhandel, von dem der Iran hochgradig abhängig ist, komplett zu unterbinden. Gestern kamen Sanktionen gegen den iranischen Bergbau- und Stahlsektor dazu.

Ruhani setzte Europa nun ein Ultimatum und kündigte an, sich wieder an den Vertrag zu halten, wenn die Partner, vor allem Deutschland, Großbritannien und Frankreich, es schaffen, die Bank- und Ölsanktionen in den nächsten 60 Tagen zu beseitigen. Ansonsten werde man darüber nachdenken, wieder mehr Uran anzureichern.

Für die Regierungen in Berlin, Paris und London ist das ein Dilemma. Sie hatten ein Jahr lang versucht, den Deal zu retten – und sogar eine Zweckgesellschaft (Instex) gegründet, um die US-Sanktionen auszuhebeln. Doch aus Sicht Teherans war das viel heiße Luft. Ruhani sagt, die anderen fünf Vertragspartner (also auch China und Russland) hätten sich bemüht, „den Deal mit Medikamenten am Leben zu halten, aber wir glauben, dass eine chirurgische Operation nötig ist.“

Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, drohte Ruhani den Europäern recht unverhohlen. Bisher habe man Flüchtlinge und Drogen aus Afghanistan mit hohem finanziellen Aufwand von Europa fern gehalten – aber das könne man unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr finanzieren.

Die Reaktionen aus Europa sind entsprechend deutlich. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) rief den Iran eindringlich dazu auf, das Abkommen einzuhalten. Großbritanniens Außenminister Jeremy Hunt sagte: „Ich beschwöre den Iran, keine weiterreichenden Schritte zu unternehmen.“ Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly schloss dagegen Sanktionen gegen das Land nicht aus.

Auch die Sorge vor einem Krieg wächst. Einige in Washington, vor allem Sicherheitsberater John Bolton, spielen schon lange mit dem Gedanken, das Regime in Teheran anzugreifen. Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist dem nicht abgeneigt. Zuletzt schickten die USA einen Flugzeugträger und eine Bomberstaffel gen Iran – zur Abschreckung.

US-Präsident Donald Trump käme eine Konfrontation indes ungelegen; er hat versprochen, Soldaten aus der Region rauszuholen. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand nach irgendeiner Form von Krieg mit irgendjemandem trachtet“, sagte gestern die Sprecherin des Weißen Hauses. Vielleicht reagierte Außenminister Mike Pompeo auch deshalb so zurückhaltend auf die Nachricht aus Teheran. Ruhanis Ankündigung sei bewusst vage gehalten, sagte er gestern. Die USA wollten erst mal abwarten, was der Iran vorhabe.  mit dpa/afp

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