Ein Papier gegen die Kultur des Vertuschens

von Redaktion

Papst Franziskus ordnet weltweit Meldestellen für Missbrauchsfälle an – Opfer fordern staatliche Anzeigepflicht

Vatikanstadt/München – Zweieinhalb Monate nach dem Anti-Missbrauchsgipfel in Rom hat der Papst „geliefert“: Im Vatikan wurde gestern ein weltweit geltendes Kirchengesetz veröffentlicht, mit dem sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche stärker verfolgt werden soll. Damit verankert Franziskus ausdrücklich im Kirchenrecht, dass Missbrauchsfälle gemeldet werden müssen, die Untersuchungen innerhalb von 90 Tagen abgeschlossen werden sollen – und vor allem die Verheimlichung nicht länger geduldet wird.

Damit versucht der Papst, überall auf der Welt die in der Kirche weitverbreitete Kultur des Vertuschens zu beenden. Kirchliche Stellen sollen staatliche Strafverfolger in ihrer Arbeit unterstützen. In den Diözesen sollen innerhalb eines Jahres leicht zugängliche Anlaufstellen für Anzeigen geschaffen werden. In Deutschland gibt es bereits seit 2010 nationale Leitlinien der Bischofskonferenz.

Im Vatikan spricht man von einem wichtigen Schritt. Auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, lobte die verschärften Normen als „begrüßenswerte Standards“ für die Weltkirche. Matthias Katsch, Sprecher des Opferverbands „Eckiger Tisch“, erklärte, das Schreiben sei ein guter Ansatz dafür, dass in Zukunft besser mit der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen umgegangen werde. Er kritisierte aber, dass „eine verbindliche Meldepflicht an die staatlichen Behörden“ fehle. „Kirche sollte das nicht allein ermitteln, sondern muss das frühzeitig an die Staatsanwaltschaft abgeben“, sagte er. Ein gut gemeintes sei noch kein gut gemachtes Gesetz.

Rörig indes äußerte Verständnis dafür, dass es nicht automatisch eine staatliche Meldepflicht gebe. Die Leitlinien gälten für die Weltkirche – und nicht in allen Ländern gebe es rechtsstaatliche Standards. „Das Ordinariat meldet der Staatsanwaltschaft grundsätzlich Hinweise auf Straftaten“, erklärte Bernhard Kellner, Pressesprecher des Erzbistums München und Freising, auf Anfrage. In den Jahren 2011 bis heute seien neun Verdachtsfälle der Staatsanwaltschaft berichtet worden – darunter befanden sich laut Kellner zwei Kleriker. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob diese Fälle auch als Straftaten zu werten sind: Fälle können verjährt sein oder sich auch als nicht strafbar erweisen.

Katsch bezeichnet es als einen Schwachpunkt in Deutschland, dass es keine staatliche Anzeigepflicht gebe. „Kein Bischof könnte dafür belangt werden, wenn ein Verdachtsfall nicht angezeigt wird. Wir brauchen in Deutschland ein staatliches Gesetz, dass Arbeitgeber, Vorgesetzte, den Vorstand eines Sportvereins, das Bistum oder die Schulleitung verpflichtet, im Verdachtsfall immer die Behörden einzuschalten und nicht selber herumzuermitteln.“ Arbeitgeber, auch ein Bischof gegenüber seinem Priester, sollten keine Entschuldigung dafür haben, dass sie im Verdachtsfalle keine Anzeige erstatten.

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) appellierte an die Kirche, mit Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren. Die Kirche müsse jede Straftat anzeigen, damit die Staatsanwaltschaften ermitteln könnten. Bei jedem Hinweis müsse deshalb unmittelbar Strafanzeige gestellt werden. CLAUDIA MÖLLERS

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