„Historische Weichenstellung“

von Redaktion

Der Bundestag debattiert über das Gesetz zur Einwanderung von Fachkräften

München – Einmal, noch früh in der Debatte, wendet sich Hubertus Heil gestern an jeden einzelnen Abgeordneten. Aus ihren Wahlkreisen würden sie doch alle diese Fälle kennen, erinnert der Bundesarbeitsminister: „Wo das deutsche Handwerk sagt, wir haben hier Leute, die wir richtig gut gebrauchen können.“ Formal geht es an diesem Vormittag um das geplante Gesetz zur Einwanderung von Fachkräften, aber so ganz lässt sich das eben nicht trennen: Die Anwerbung gut ausgebildeter Menschen aus dem Ausland – und die Integration von Menschen, die bereits hier leben und deren Fähigkeiten dauerhaft gefragt sein könnten.

Die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, beschäftigt die Politik seit Jahrzehnten. Am Donnerstag berät der Bundestag nun zum ersten Mal über ein Gesetz, das einen sperrigen Namen trägt (Fachkräfteeinwanderungsgesetz), für das Horst Seehofer aber mit Blick auf den langen Vorlauf ein schmückenderes Prädikat findet. Der Bundesinnenminister spricht von einer „historischen Weichenstellung“.

Seehofer ist es wichtig zu unterscheiden: „Es geht um Erwerbsmigration, nicht um eine Spielart des Asylverfahrens.“ Er betont die Regeln und Kriterien, an denen man sich bei der Frage orientiere, wen man ins Land lasse, und dass alles „gesteuert und geordnet“ verlaufe. An Hochschulabsolventen richte man sich ebenso wie an Fachkräfte mit qualifizierter Berufsausbildung: „Wir legen Wert auf beide Gruppen.“ Der SPD-Mann Heil, mit dem er monatelang an diesem Gesetz gearbeitet hat, weist dann noch darauf hin, es mache ja „keinen Sinn, Fachkräfte aus dem Ausland mühsam zu holen, und auf der anderen Seite Fachkräfte, die wir schon im Land haben, abzuschieben“.

Dass ein riesiger Bedarf herrscht, ist unstrittig. In etlichen Branchen – in der Pflege, Teilen des Handwerks, technischen Berufen – sucht die Wirtschaft händeringend nach Personal. „Wer in Berlin versucht, einen Handwerker zu bekommen, der weiß, wie viel schneller die Arbeit erledigt werden könnte, wenn wir mehr Fachkräfte zur Verfügung hätten“, sagt Heil. Der Arbeitsminister beklagt eine „handfeste Wachstumsbremse“, mit der man kämpfe.

Viele geplante Regelungen gibt es bereits, allerdings für Fachkräfte mit akademischer Ausbildung. Künftig soll die Zuwanderung – auch für Ausbildungsberufe – nicht mehr auf Jobs beschränkt werden, in denen es Engpässe gibt. Damit haben grundsätzlich alle Arbeitnehmer die Möglichkeit, nach Deutschland einzuwandern, die ausreichend qualifiziert sind und einen Arbeitsvertrag haben. Die Vorrangprüfung – also die Frage, ob ein Arbeitnehmer aus Deutschland oder einem anderen EU-Land den Job übernehmen kann – entfällt künftig. Sie kann aber wieder eingeführt werden.

Kritik bleibt nicht aus. Während FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg den Entwurf „mutlos“ nennt, rügt Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die Koalition fördere die Fachkräfte-Einwanderung nicht, sondern begnüge sich damit, sie nicht zu verhindern. Aus den Kommunen kommt ganz anderer Gegenwind: „Die Gefahr, dass die Betroffenen bei ergebnisloser Suche nicht freiwillig ausreisen werden, ist zu groß“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Väter des Gesetzes ficht das nicht an. Heil sagt: „Wenn Sie uns nicht glauben, hören Sie auf das deutsche Handwerk.“  mb/kr

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