Berlin – Der Zeitpunkt ist denkbar schlecht. Kurz nach der Hiobsbotschaft, dass die Steuereinnahmen geringer ausfallen als bislang erwartet, will Sozialminister Hubertus Heil noch in diesem Monat seinen Gesetzentwurf für eine Grundrente vorlegen – wohl noch vor der Europawahl am übernächsten Sonntag. Die zugespitzte Finanzlage erschwert dem SPD-Mann nun das Geschäft. Denn entgegen der Koalitionsvereinbarung, in der ein Modell zum Preis von etwa 200 Millionen Euro pro Jahr skizziert ist, laufen Heils Grundrenten-Pläne auf das 25-Fache dieser Summe hinaus: Rund fünf Milliarden Euro soll das Projekt kosten.
Hintergrund ist, dass die SPD eine ebenfalls im Koalitionsvertrag fixierte Bedürftigkeitsprüfung ablehnt, was die Sache enorm verteuert. So will Heil die Rentenansprüche von Geringverdienern mit mindestens 35 Beitragsjahren zum Teil fast verdoppeln, unabhängig davon, ob ihnen noch andere Einkünfte zur Verfügung stehen.
Zur Finanzierung hatte der Sozialminister bislang immer auf Steuermittel verwiesen. Doch offenbar gilt das nicht mehr. Dem Vernehmen nach erwägen Heil und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auch eine Finanzierung über die Rentenkasse. Deren Finanzpolster betrug zuletzt 37 Milliarden Euro. Zudem wurden jetzt Überlegungen bekannt, die Grundrente auch auf Kosten der Kranken- und Arbeitslosenversicherung zu stemmen. Berichten zufolge planen Heil und Scholz, den allgemeinen Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Rentner von 14,6 auf 14,0 Prozent zu senken. Weil die Rentenkasse die Hälfte der Beitragszahlungen für Senioren trägt, bekäme die Krankenversicherung auf diese Weise etwa 400 Millionen Euro weniger von ihr überwiesen. Dieses Geld soll künftig zur Finanzierung der Grundrente verwendet werden.
Eine weitere Finanzquelle sieht die SPD in der Arbeitslosenversicherung. Für Arbeitslose überweist dieser Versicherungszweig der Rentenkasse Geld. Es wird so berechnet, als hätten die Erwerbslosen 80 Prozent ihres letzten Einkommens verdient. Künftig soll die Bemessungsgrundlage auf 100 Prozent steigen. Im Ergebnis käme es zu höheren Geldüberweisungen an die Rentenversicherung, die Heils Grundrente mitfinanzieren könnten. Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums wollte solche Pläne unter Verweis auf die noch laufenden, internen Gespräche gestern weder bestätigen noch dementieren.
In der Union zeigte man sich darüber empört. „Für die Grundrente sollen nun offenbar sämtliche Sozialkassen geplündert werden. Wer das tun will, hat ein Rad ab“, sagte der Sozialexperte der Unionsfraktion Peter Weiß unserer Zeitung. „Gerade in der Arbeitslosenversicherung haben wir jetzt eine Rücklage, die erhalten bleiben muss, wenn die Zeiten wieder schlechter werden. Dagegen zu verstoßen, ist im höchsten Maße unsolide.“ Und der Chef der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann (CDU), meinte zu den Plänen: „Das wäre eine verantwortungslose Politik. Denn es handelt sich um eine Leistung, für die keine Beiträge gezahlt wurden.“ Die Union, so Linnemann, werde einer Grundrente ohne Bedarfsprüfung „definitiv nicht zustimmen“. STEFAN VETTER