Yücel erhebt Foltervorwürfe gegen Erdogan

von Redaktion

Ein Jahr lang war Deniz Yücel im Gefängnis in der Türkei, in Istanbul wird ihm weiter der Prozess gemacht. Nun hat der „Welt“-Korrespondent erstmals in dem Strafverfahren ausgesagt – und erhebt dabei schwere Vorwürfe, über die er bislang geschwiegen hat.

VON CAN MEREY

Berlin – Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel ist während seiner Haftzeit in der Türkei eigenen Angaben zufolge gefoltert worden. Yücel machte dafür am Freitag in einer Aussage vor dem Amtsgericht in Berlin den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verantwortlich. In der schriftlichen Fassung der Aussage erwähnt Yücel Schläge, Tritte, Erniedrigungen und Drohungen durch Vollzugsbeamte in seinen ersten Tagen im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul.

Die Opposition in Berlin forderte von der Bundesregierung Konsequenzen, unter anderem die sofortige Einbestellung des türkischen Botschafters. Aus Erdogans AKP-Partei wurden Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Yücels Aussage laut.

Gegen den Journalisten läuft in der Türkei ein Prozess, ihm wird unter anderem „Propaganda für eine Terrororganisation“ vorgeworfen. Das Gericht in der Türkei hatte zugestimmt, dass Yücel in Deutschland aussagen kann.

„Ich wurde im Gefängnis Silivri Nr. 9 drei Tage lang gefoltert“, hieß es in Yücels erster Aussage in dem Strafverfahren. „Womöglich auf direkte Veranlassung des türkischen Staatspräsidenten oder dessen engster Umgebung, auf jeden Fall aber infolge der Hetzkampagne, die er begonnen hatte und unter seiner Verantwortung. So oder so, der Hauptverantwortliche für die Folter, der ich ausgesetzt war, heißt Recep Tayyip Erdogan.“

Yücel war bis Februar 2018 ein Jahr lang ohne Anklageschrift im Gefängnis – lange in Einzelhaft. Der Fall hatte eine schwere Krise zwischen Berlin und Ankara ausgelöst. Gleichzeitig mit Yücels Entlassung aus dem Gefängnis und der Ausreise nach Deutschland erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Der Prozess in Istanbul wird Mitte Juli fortgesetzt. Dem deutsch-türkischen Journalisten drohen bis zu 18 Jahre Haft.

Yücel sprach dem Prozess jede rechtsstaatliche Grundlage ab. „Ich weiß, das, was ich hier zu sagen habe, hat für Ihr Gericht keinerlei Bedeutung und wird in der Türkei der Gegenwart keine rechtliche Entsprechung finden“, hieß es in seiner Aussage an die Adresse der türkischen Richter. Das Urteil der Richter sei „wertlos“. Seine Inhaftierung sei eine „Geiselnahme“ gewesen.

In der Aussage vor dem Amtsgericht Tiergarten sagte der 45-Jährige, er habe auch in seiner Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte „von der erlebten Folter berichtet“. Er habe es ansonsten vorgezogen, darüber nicht öffentlich zu sprechen. „Denn der richtige Ort hierfür war die Gerichtsverhandlung. Der richtige Ort war hier. Darum sage ich es an dieser Stelle zum ersten Mal öffentlich.“

Yücel berichtete, nachdem Erdogan Anfang März 2017 eine „Hetzkampagne“ gegen ihn begonnen habe, habe eine sechsköpfige Gruppe aus Vollzugsbeamten damit begonnen, ihn zu schikanieren. So seien sie unter anderem in seine Zelle eingedrungen. „Weil in den Zellen im Gegensatz zu den Korridoren keine Kameras installiert sind, wurde ich … auch körperlich mit Tritten gegen meine Füße und Schlägen auf Brust und Rücken angegangen“, heißt es in Yücels Aussage. „Das Maß der Gewalttätigkeit war nicht allzu hoch, weniger darauf ausgerichtet, mir körperliche Schmerzen zuzufügen, als darauf, mich zu erniedrigen und einzuschüchtern. Womöglich wollte man mich auch zu einer Reaktion provozieren. Doch auch so war dies ein Fall von Folter.“

Der AKP-Politiker und Erdogan-Vertraute Mustafa Yeneroglu zweifelte die Folter-Aussage Yücels an. „Ich kann es mir nicht vorstellen. Es widerspricht den mir bekannten Vorfällen und auch seinen späteren Äußerungen mir gegenüber.“

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