„Eine CO2-Steuer wäre gefährlich“

von Redaktion

Im Lauf der Jahrzehnte ist aus Edmund Stoiber ein glühender Europa-Verteidiger geworden. Der CSU-Ehrenvorsitzende (77) wirbt eindringlich für eine hohe Wahlbeteiligung, warnt vor einem Erstarken der Rechtspopulisten – und widerspricht dennoch in manchen Punkten dem CSU-Spitzenkandidaten Manfred Weber. Wir haben Stoiber in München zum Interview getroffen.

Der Ruheständler Stoiber macht mit Feuereifer Wahlkampf. Die amtierende Kanzlerin bestreitet nur einen Auftritt. Hat Merkel Angst, dass ihr ein schlechtes Abschneiden der Union angelastet wird?

Ich glaube nicht, dass sie so kleinkariert denkt. Ihr Bild bleibt geprägt von dem, was sie in über 14 Jahren Kanzlerschaft erreicht hat. Angela Merkel hat Europa stabil durch die Wirtschafts- und die Euro-Krise geführt. Jetzt hat sie sich frei entschieden, ihre Verantwortung in der CDU abzugeben, das Land aber noch bis 2021 zu führen. Sie weiß, das kann ein Risiko sein – aber sie hat kein Parteiamt mehr.

Für welches Europa kämpfen Sie? Außen immer größer, innen immer enger?

Wir können in Europa in den nächsten fünf Jahren keine Erweiterung schaffen, auch nicht mit Staaten des Westbalkans. Auch die Vertiefung nach innen würde ich mit großer Zurückhaltung angehen, außer bei den großen Themen wie Verteidigung, Außenpolitik oder Migration. Europa hat enorme Kompetenzen in Wirtschaft, Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das funktioniert. Eine stärkere gemeinsame Sozialpolitik würde aber wirtschaftsschwächere Länder überfordern und damit zu einer Transferunion führen, zu einer großen finanziellen Belastung für uns. Wir wollen deshalb keine europäische Arbeitslosenversicherung, keinen europäischen Mindestlohn.

Vielfach wird diese Wahl zu einer „Schicksalswahl“ erklärt: zwischen den europafreundlichen Parteien und jenen, die die EU abwickeln wollen. Teilen Sie diese Sichtweise?

Das stimmt. Die Parteienlandschaft hat sich dramatisch verändert. Vor zehn Jahren gab es zwar den Front National in Frankreich, aber nicht in diesem Ausmaß. Vor zehn Jahren gab es eine Lega Nord, aber nicht als in Umfragen stärkste Regierungspartei Italiens. Ich sehe das auch in anderen Ländern: In Spanien, Schweden, Dänemark haben Populisten stark an Einfluss gewonnen, die dieses Europa nicht wollen. Die Mehrheit der demokratischen Volksparteien im Europaparlament, EVP und Sozialdemokraten, ist deshalb nicht selbstverständlich.

Haben Sie da nicht jemanden vergessen – Orbáns Fidesz-Partei in Ungarn?

Nein. Ich bedaure, wie sich Orbán zu manchen Fragen von Presse- und Wissenschaftsfreiheit verhält. Trotzdem sollten wir alles tun, um die Konservativen zusammenzuhalten und mehr Verständnis für die Geschichte und Mentalität der Staaten Osteuropas aufzubringen. Wir sollten mit Ungarn – auch mit Polen – geduldiger sein.

Das Tischtuch zu Orbán ist nicht zerschnitten?

Ich hoffe nicht.

CSU-Spitzenkandidat Weber lehnt eine CO2-Steuer klar ab. Zurecht?

Ja. Natürlich muss CO2 einen Preis haben, aber am besten über den Ausbau des europaweiten Emissionszertifikatehandels. Eine Steuer auf Benzin und Diesel ist in ihrer Wirkung ungenau und politisch gefährlich. Da sollten wir mal von Frankreich lernen: Die untere Mittelschicht ist gegen Macron aufgestanden – Menschen, denen im Monat vielleicht 50, 100 Euro übrig bleiben. So etwas kann den Grünen egal sein, die faktisch eine Partei der Gutverdiener sind. Eine Partei wie die CSU, die alle Schichten, auch Baggerfahrer, Kurierboten, Callcenter-Mitarbeiter mit 1600 Euro brutto vertreten will, kann so nicht handeln. Wir würden uns mit einer CO2-Steuer soziale Verwerfungen einhandeln, eine deutsche Gelbwesten-Bewegung riskieren und die AfD stärken.

CDU-Vize Laschet und Fraktionschef Brinkhaus sind da anderer Ansicht …

Das halte ich für falsch. Ich unterstütze hier Annegret Kramp-Karrenbauer, die ja auch vor den sozialen Folgen einer CO2-Steuer warnt.

Weber hat sich auch festgelegt: Er will die North-Stream-Pipeline stoppen.

Ich hoffe auf einen Kompromiss. Wir steigen national aus der Kohle aus, aus der Kernenergie. Zwar haben wir schon einen Anteil an erneuerbarer Energie am Stromverbrauch von 38 Prozent. Aber eine Energielücke bleibt. Wir brauchen Gas, um diese Lücke zu füllen. Die Fördermengen in Europa reichen schon heute nicht aus und werden weiter zurückgehen.

Sie machen sich erpressbar, liefern uns damit Moskaus Wohlwollen aus.

Wir liefern uns nicht aus. Die Russen sind stärker vom europäischen Markt abhängig als wir von ihnen. Wir errichten parallel Terminals für Flüssiggas, für Lieferungen aus den USA. Ich sage allerdings auch: Fracking-Gas aus den USA ist teurer, in der Qualität schlechter und nach unseren Maßstäben ökologisch nicht akzeptabel. Und Russland hat sich auch zu den härtesten Zeiten des Kalten Krieges als immer zuverlässiger Lieferant erwiesen.

Die Ukraine, vielleicht auch Polen, haben Angst, dass Russland doch den Gashahn zudreht.

Angela Merkel hat gegenüber Russland deutlich gemacht, dass Pipelines durch die Ukraine weiter betrieben werden müssen. Das ist für uns eine klare Voraussetzung. Übrigens können wir diese Staaten auch über unsere Verteilernetze mit Gas beliefern, das über North Stream in die EU gekommen ist.

Muss Weber Kommissionspräsident werden, oder dürfen die Staatschefs im Hinterzimmer was anderes ausmauscheln?

Ich bin überrascht, dass europäische Regierungschefs jetzt daran rütteln. Ich kann nur dringend davor warnen, das Prinzip der Spitzenkandidatur zu missachten. Es steht für die Demokratisierung und Parlamentarisierung, für ein Europa der Bürger. Das muss man Macron klarmachen. Das infrage zu stellen, wäre eine Ohrfeige für alle europäischen Wähler.

Würden Sie heute eine Kiste Wein wetten, dass Weber Kommissionspräsident wird?

Selbstverständlich.

Interview: Georg Anastasiadis, Christian Deutschländer

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