Rom – Anderthalb Millionen „hungrige Italiener“ könnten ernährt werden, wenn man die starre Drei-Prozent-Defizitgrenze im Euro-Raum endlich abschaffe, tönt Matteo Salvini. Der Chef der rechtsextremen Lega und Innenminister steht in blauer Sportjacke auf der verregneten Piazza einer Kleinstadt und redet sich in Rage.
Seine markigen Worte klingen, als spräche er von irgendeinem afrikanischen Entwicklungsland statt von einer der großen Industrienationen. Der Menge ist es egal, sie bejubeln ihren Matteo trotzdem. „Wählt uns, dann werden wir dieses Europa verändern“, ruft er. Ein Lehrstück aus dem Handbuch der Demagogie, kommentieren italienische Zeitungen. Die Finanzmärkte reagierten umgehend. Der Zinsaufschlag auf italienische Staatsanleihen, Barometer für die Kreditwürdigkeit eines Landes, schnellte auf 290 Basispunkte hoch.
Sogar beim Movimento 5 Stelle, Bündnispartner der Lega, ist man entsetzt, dass Salvini die Diskussion um die Stabilitätskriterien anheizt und damit die ohnehin prekäre Finanzlage verschärft. Wirtschaftsminister Luigi di Maio rief seinen Kollegen zur Ordnung und warnte vor Querschüssen: „Wir sollten uns lieber darum kümmern, Steuerschlupflöcher zu schließen und die Verschwendung öffentlicher Gelder zu bekämpfen.“ Und Premier Giuseppe Conte warnte vor den Folgen der Fieberkurve durch zu hohe Kreditzinsen: „Dann werden wir um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht herumkommen.“ Für die Lega Teufelszeug.
Oppositionsführer Luca Zingaretti vom Partito Democratico (PD) sieht das Bündnis am Ende und setzt auf Neuwahlen. Die könnten in der Tat schon im September erfolgen, glaubt man Überlegungen aus dem Quirinalspalast, dem Sitz des Staatspräsidenten. Viel wird vom Ausgang der EU-Wahl abhängen.
Doch auch innerhalb der 5 Sterne gibt es Anzeichen eines Kurswechsels. Führende Abgeordnete arbeiten auf eine Mäßigung der politischen Positionen hin, um auch mit dem PD koalitionsfähig zu sein. Indes zirkuliert ein ganz anderes Szenario: Sollte sich die Schuldenkrise weiter verschärfen, könnte Staatspräsident Sergio Mattarella die Notbremse ziehen und eine Expertenregierung einsetzen. Unter Führung des bisherigen EZB-Chefs Mario Draghi. INGO-MICHAEL FETH