München – Nach der Europawahl soll alles ganz schnell gehen. Am 28. Mai, also nur zwei Tage nach Schließung der Wahllokale, treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem Sondergipfel. Man könnte auch sagen: zu einem Basar. Hinter verschlossenen Türen werden die Mächtigen von Orban über Salvini bis zu Macron und Merkel ausschachern, wer Europa künftig führt. Die Interessen sind höchst unterschiedlich. Sicher ist: Alle Regionen (Süd, Ost, Nord und West) müssen irgendwie berücksichtigt werden, reiche und arme Länder. Mindestens eine Frau sollte ein Amt bekommen. Der Versuch eines Überblicks:
Kommissionspräsident: Mit diesem Amt beginnen die Verhandlungen. Es ist der mächtigste Posten. Der Chef der Kommission, also der „Regierung“ in Brüssel, herrscht über 30 000 EU-Beamte. Er bereitet Gesetze und Regelungen vor, die dann von den Mitgliedsstaaten und dem Parlament beschlossen werden. Bisher hat Jean-Claude Juncker das Amt inne.
Als Nachfolger kommt zunächst einmal der Spitzenkandidat der siegreichen Parteienfamilie infrage: also der konservative Niederbayer Manfred Weber oder der Sozialdemokrat Frans Timmermans (Niederlande). Im Parlament pocht man auf diesen Automatismus, im Rat sehen das viele anders. Unter anderem Emmanuel Macron, der die Spitzenkandidaten-Idee generell ablehnt. Deshalb schwirren immer wieder Namen wie die liberale Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager (Dänemark) oder der Brexit-Unterhändler Michel Barnier (Frankreich) herum. Kann man sich am Ende auf keinen Kandidaten einigen, würde vielleicht doch noch Angela Merkel gerufen. Könnte sie da ablehnen?
Ratspräsident: Im EU-Rat sind die Mitgliedsstaaten organisiert. Der Ratspräsident organisiert und leitet die Gipfel. Auch für dieses Amt wird Merkel oft ins Spiel gebracht. Insider sind jedoch skeptisch. Der Ratspräsident sei doch nur ein besserer Generalsekretär, heißt es in Berlin wie Brüssel. Das werde sich Merkel als bisherige Anführerin der EU niemals antun. Sicher ist: Donald Tusk hört auf (ihm werden Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur in Polen nachgesagt). Gehandelt werden stattdessen Belgiens Regierungschef Charles Michel und der holländische Premier Mark Rutte.
Der Außenbeauftragte der EU spielt in der öffentlichen Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle, verfügt aber über gewaltigen Einfluss. Federica Mogherini, derzeit die einzige Frau in einem Brüsseler Spitzenamt, will aufhören. Auf die Italienerin könnte der Spanier Josep Borrell folgen, als Außenminister Teil der Sozialisten, die eben erst die Wahl gewonnen haben. Von 2004 bis 2007 war Borrell bereits Präsident des Europaparlaments, nun zieht es ihn wieder nach Brüssel: Mit 71 Jahren kandidiert er fürs EU-Parlament. Angesichts des Brexits und der Alleingänge von Donald Trump sind viele europäische Staatschefs der Meinung, die EU müsse nach außen selbstbewusster und geschlossener auftreten. Die Bedeutung des Amts dürfte eher steigen.
Präsident des EU-Parlaments: Im Juli kommt das neu gewählte Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen – dann dürfte auch der neue Präsident gewählt werden. Bislang war das Antonio Tajani. Nach jetzigem Stand dürfte die Personalie erst nach den anderen beiden Präsidentenämtern entschieden werden – möglicherweise auch unter Proporzgesichtspunkten (am besten eine Frau aus Süd- oder Osteuropa?). Das Amt ist durchaus einflussreich, schließlich kann kein Gesetz ohne Mehrheit im Parlament verabschiedet werden.
EZB-Präsident: Das Mandat des italienischen Amtsinhabers Mario Draghi endet am 31. Oktober. Der deutsche Kandidat heißt Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Seine Chancen schwinden aber, sobald ein anderer Deutscher zum Beispiel Kommissionspräsident wird. Die Herkunft könnte bei diesem Posten eine große Rolle spielen, möglicherweise kommt ein Franzose zum Zug. mik