Der schwierige Kampf gegen die Clans

von Redaktion

Die Zahlen rütteln auf. Tausende Straftaten sollen allein in Nordrhein-Westfalen jedes Jahr aufs Konto arabischer Familienclans gehen. Ihre Bekämpfung wird schwierig und langwierig, glauben Ermittler.

VON STEFAN REICH

München – Fünf maskierte Männer stürmen am 20. Dezember 2014, dem letzten Samstag vor Weihnachten, in das Berliner Kaufhaus KaDeWe. Mit Macheten, Feuerlöschern und Hämmern zertrümmern sie die Vitrinen der Juwelierabteilung. Nach zwei Minuten sind sie mit Schmuck und Uhren im Wert von 800 000 Euro verschwunden. Als Täter werden später unter anderem zwei Mitglieder einer bekannten arabischen Großfamilie verurteilt. Doch jenseits solcher Fälle fanden die Machenschaften krimineller Clans lange Zeit wenig Beachtung.

Jetzt lenken Zahlen des Landeskriminalamts Düsseldorf die Blicke der Öffentlichkeit wieder auf das Phänomen Clan-Kriminalität, das in Polizei- und Justizkreisen seit Jahren bekannt ist. Bei 14 400 Straftaten, die von 2016 bis 2018 in Nordrhein-Westfalen begangen wurden, gelten Mitglieder von 104 Großfamilien als Tatverdächtige. Die Clans treten zunehmend selbstbewusst auf, Kritiker wie der libanesisch-stämmige Politikwissenschaftler Ralph Ghadban werden offen bedroht.

Auch die Politik greift das Thema auf, Ermittler hoffen nun auf die nötigen Mittel, um die Clans zu zerschlagen. Das erfordere „großen Aufwand und wird Jahre dauern“, sagt Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, unserer Zeitung. Die Organisation der nach außen abgeschlossenen Familienverbände, die den Staat als Autorität nicht anerkennen, erschwert Ermittlungen.

Die Familien, oft als türkisch-arabische oder kurdisch-libanesische Clans bezeichnet, rechnet man der Volksgruppe der Mhallamiy zu. Sie war ursprünglich im Südosten der heutigen Türkei zuhause. Ab den 1920er Jahren siedelten sie in Teilen in den Libanon über. Als dort in den 70ern Bürgerkrieg ausbrach, kamen sie, wie auch andere Gruppen aus dem Libanon, über die DDR nach West-Berlin.

Schon früh fielen hier junge Geflüchtete aus dem Libanon als Kleinkriminelle auf. Mit Kaufhausdiebstahl versuchten Jugendliche, teils noch strafunmündig, an Geld zu kommen. Arbeiten durften viele als staatenlos eingestufte Einwanderer aus dem Libanon zwischen 1978 und 1987 nicht. Das untergrub auch die Autorität der Väter, die so als Ernährer weitgehend ausfielen. Als die Beschränkungen fielen, fanden viele Libanon-Flüchtlinge den Weg in ein geregeltes Leben. Aber ein Teil der Mhallamiy-Familien hielt an der Kriminalität fest.

Zwar lebe auch die Mehrheit der Menschen, die den Namen einer einschlägigen Clanfamilie tragen, „hier ohne Fehl und Tadel“, stellte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) klar. Doch in einigen Großfamilien gibt es offenbar eine hohe Zahl von Intensivtätern. Knapp die Hälfte der Delikte mit Clan-Bezug in NRW wird zehn Großfamilien zugeordnet, zwei sollen besonders aktiv sein. Drogenhandel, Prostitution, Geldwäsche und Schutzgelderpressung sollen zu ihren Aktivitäten gehören.

Neben Berlin und NRW sind kriminelle Clans vor allem in Bremen und Niedersachsen aktiv. Das habe möglicherweise damit zu tun, wo sich die Familien einst niedergelassen hätten, sagt Fiedler. Doch grundsätzlich sei für die Clans jede Gegend mit Sisha-Bars, Döner-Buden, Spielhallen und Wettbüros attraktiv.

In Bayern gebe es keine vergleichbaren Probleme mit kriminellen Clans, sagt Innenminister Joachim Herrmann (CSU). „Das verdanken wir unserer Null-Toleranz-Strategie gegen Kriminalität und unserer konsequenten Polizeiarbeit, die rechtsfreie Räume nicht duldet.“ Er kritisiert die anderen Länder nicht direkt, sagt aber: „Entscheidend ist, schnell zu reagieren, sobald es Anzeichen für entsprechende kriminelle Strukturen und gefährliche Parallelgesellschaften gibt.“

In Berlin und NRW setzt die Polizei inzwischen auf Null-Toleranz und dauernde Nadelstiche – etwa mit Stilllegung von Shisha-Bars mittels Gesundheitsvorschriften, um Geldwäsche zu erschweren, und der Beschlagnahme von Immobilien. Das sei aber nur ein Mosaikstein, sagt Sebastian Fiedler. Und schon der sei personalintensiv. „Die Clans haben teilweise die Dimension größerer mittelständischer Unternehmen.“ Zum Durchleuchten höherer Hierarchie-Ebenen und überregionaler Verflechtungen brauche es zusätzliche Kriminalbeamte. Eine Koordinierungsstelle, die beim Bundeskriminalamt entstehen soll, könne hier helfen. Es brauche aber auch Präventions- und Aussteigerprogramme. Man müsse schon Kinder davor bewahren, in diese Strukturen hineinzuwachsen.

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