Berlin – Noch lässt der Gesetzentwurf zur „Respektrente“, wie Hubertus Heil (SPD) sein Projekt zur Aufstockung der Altersbezüge von Niedrigverdienern nennt, auf sich warten. Doch was bislang bekannt ist, sorgt für wachsenden Ärger in der Union und Teilen der Opposition. Größter Knackpunkt ist der geplante Verzicht auf eine Bedürftigkeitsprüfung, was die Kosten auf fünf Milliarden Euro pro Jahr hochtreibt. Dem Vernehmen nach sind sich Heil und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht über die Finanzierung einig.
Anfangs hieß es: Steuermittel. Doch wegen der weniger stark steigenden Steuereinnahmen wurde von Heil und Scholz zuletzt auch eine Bezahlung aus Beitragsmitteln verschiedener Sozialkassen erwogen. Das lehnt die Union kategorisch ab. „Wir schütten die Leute mit Geld zu, und sie werden trotzdem nicht zufriedener“, empörte sich der CDU-Wirtschaftsfachmann Joachim Pfeiffer.
Aktuelle Zahlen aus Heils Ressort stärken Zweifel. Wie das Ministerium auf eine Anfrage des rentenpolitischen Sprechers der FDP, Johannes Vogel, einräumt, basieren derzeit mindestens 5,8 Millionen Renten auf weniger als 35 Jahren Beitragszeit. Die betroffenen Senioren würden die Mindestschwelle für den Erhalt der Grundrente nach Heils bisherigem Konzept gar nicht erst erreichen. Genau in dieser Gruppe ist die Armutsgefährdung groß, denn etwa 3,9 dieser 5,8 Millionen Renten liegen geringe Verdienste zwischen 20 und 80 Prozent des Durchschnittseinkommens zugrunde.
Wer umgekehrt beide von Heil genannten Kriterien erfüllt – also die Mindestbeitragszeit von 35 Jahren und einen vormaligen Verdienst von weniger als 80 Prozent der Durchschnittsbezüge –, steht mit der Grundrente noch immer nicht automatisch besser da als bei Bezug der Grundsicherung im Alter (Hartz IV). Laut Heil-Konzept soll eine Mini-Rente nach 35 Beitragsjahren auf bis zu 900 Euro angehoben werden. Nach Auskunft seines eigenen Ressorts liegt der Grundsicherungsbedarf in den sieben größten Städten aber schon jetzt über dieser Marke. Das heißt, wenig begüterte Rentner in Ballungsräumen wären weiter auf Grundsicherung einschließlich der damit verbundenen Bedürftigkeitsprüfung angewiesen. FDP-Mann Vogel kritisiert die Grundrente daher als „völlig ziellos“.
Die soziale Unausgewogenheit der Pläne hatten Abgeordnete schon im Bundestag thematisiert. So verwies Kai Whittaker (CDU) auf Beispielrechnungen, die das Prognos-Institut im Auftrag der arbeitgeberfinanzierten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ erstellt hatte. Demnach kommt ein Rentner, der 35 Jahre gearbeitet und dabei 40 Prozent des Durchschnittslohns erzielt hat, derzeit auf eine Rente von 448 Euro. Den gleichen Betrag erhält ein Ruheständler, der nur 33 Jahre tätig war, aber etwas mehr, nämlich 42,4 Prozent des Durchschnittlohns verdient hat. Doch während sich die Bezüge beim Ersten dank Grundrente verdoppeln (auf 897 Euro), bleibt der Zweite bei seiner Mini-Rente. „Was das mit Respekt und mit Gleichheit zu tun hat, das verstehe, wer will“, resümierte Whittaker.
Das Problem dieser sogenannten Abbruchkante hat auch Heil längst erkannt. Lösung: offen. STEFAN VETTER