SPÖ und FPÖ wollen Kurz stürzen

von Redaktion

Nach dem Platzen der Koalition in Wien infolge der Ibiza-Affäre entscheidet sich am Montag das Schicksal von Kanzler Sebastian Kurz: Der Regierungschef muss sich einem Misstrauensvotum stellen. Aus oder Neubeginn?

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER UND MATTHIAS RÖDER

Wien – Der Bundespräsident tritt mit bedrückter Miene ans Pult und richtet das Wort an die Welt. „Ich entschuldige mich für das Bild, das unsere Politik hinterlassen hat“, sagt Alexander Van der Bellen in einem ungewöhnlichen Auftritt am Dienstagabend. „So sind wir nicht. So ist Österreich nicht.“ Und an sein Volk: „Ich bitte Sie – wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab.“

Ein demütiger Präsident, ein womöglich angewidertes Volk – unser Nachbar im Süden erlebt chaotische Tage in seiner Bundespolitik. Van der Bellen versucht mit seinem Auftritt, die Wellen etwas zu glätten. Ohne es direkt zu sagen, spricht der (einst grüne) Präsident sich auch für den jungen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aus – mit einer Bitte an die Parteien, nicht überstürzt zu handeln, nicht an das eigene Interesse, sondern zuerst ans Land zu denken.

Das dürfte auf den Montag zielen: In einer Sondersitzung des Parlaments muss sich Kurz da einem Misstrauensantrag stellen. SPÖ und die aus der Regierung gedrängte FPÖ könnten mit ihren Stimmen den Kanzler stürzen. Beide deuten an, genau das zu planen. „Es wäre ja fast naiv anzunehmen, dass wir nach dem Misstrauen von Kurz gegen uns kein Misstrauen gegen ihn haben“, sagte der gefeuerte FPÖ-Innenminister Herbert Kickl. Auch die SPÖ besteht auf einer Übergangsregierung aus Experten bis zur Wahl im September. Damit sei ein Verbleib von Kurz im Amt unvereinbar, sagte ein-Sprecher. Ein Kanzler kann vom Parlament mit einfacher Mehrheit abberufen werden. Es wäre das erste Mal in der Geschichte.

Der 32-jährige Kurz zeigte sich von all dem nach außen unbeeindruckt. Nach einem zweistündigen Treffen mit dem Bundespräsidenten referierte er seine Vorschläge für eine Übergangsregierung unter dem Motto: Ohne mich bricht das Chaos aus. Er werde „ehebaldigst“ Nachfolger für Kickl und die aus Solidarität zurückgetretenen FPÖ-Minister vorschlagen. „Ich glaube, dass dieser Schritt entscheidend ist, um Stabilität innerhalb der Republik zu gewähren, um uns aber auch in den entscheidenden nächsten Monaten innerhalb der EU handlungsfähig zu halten“, sagte Kurz.

Der Präsident will das mittragen. Van der Bellen erklärte auf Nachfrage eines Journalisten, dass er keinen Plan B zu diesem Konzept habe. Die – bisher geheime – Vorschlagsliste des Kanzlers für neue Minister will der Bundespräsident aber persönlich und genauestens prüfen.

Details sind offen. Die parteilose Außenministerin Karin Kneissl, die von der FPÖ für das Amt nominiert worden war, will im Kabinett bleiben. Die Zeitung „Standard“ nennt als Favoriten für das Verteidigungsministerium den 60-jährigen Generalleutnant Johann Luif, mit dem wohl auch die SPÖ klarkäme. Für das Innenministerium kommen zwei ehemalige ranghohe Richter infrage.

In der SPÖ wird derweil auch darüber spekuliert, wer Übergangskanzler werden soll, wenn es gelingen sollte, Kurz zu stürzen. Im Gespräch: der frühere EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler (ÖVP), der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Ewald Nowotny (SPÖ), der ehemalige Nationalbank-Gouverneur Klaus Liebscher, der Ex-Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Clemens Jabloner, sowie die ehemalige liberale Spitzenpolitikerin Heide Schmidt.

Die Protagonisten des Ibiza-Videos melden sich derweil unterschiedlich zu Wort. Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erklärt, er wolle seine „Unschuld“ beweisen: „Wir werden die Hintermänner des kriminellen Videos und Dirty Campaignings aus dem Ausland gegen meine Person ausfindig machen.“ Sein Vertrauter Johann Gudenus sagt indes, man sei „voll in die Falle getappt“. Er spekuliert, mit K.o.-Tropfen gefügig gemacht worden zu sein. Er könne sich an mehrere Stunden auf Ibiza nicht mehr erinnern.

Artikel 1 von 11