Inmitten des politischen Chaos, das mit der Veröffentlichung des Strache-Videos über Wien hereingebrochen ist, schießen sich die Kritiker nun auf Sebastian Kurz ein. Doch oft wirkt es so, als würden diejenigen, die dem jungen Kanzler nun „Kontrollverlust“ attestieren, eher alte Rechnungen begleichen, weil er überhaupt mit der FPÖ koaliert hat. Was hätte Kurz jetzt anderes machen sollen, als im – wahrhaft nicht selbstverständlichen – Tandem mit Präsident Alexander Van der Bellen die Zusammenarbeit mit der FPÖ Schritt für Schritt zu beenden? Dass er dafür in Kauf nimmt, am Montag selbst Opfer eines Misstrauensvotums zu werden, ehrt ihn eher. Erst die Wahlen im Herbst werden zeigen, ob der Kanzler nicht sogar gestärkt aus dem Skandal hervorgeht.
Klar ist: Sollte Kurz am Montag stürzen, hätte diese österreichische Affäre endgültig eine europäische Dimension. Schon einen Tag später treffen sich in Brüssel die europäischen Staats- und Regierungschefs, um nach der EU-Wahl das künftige Personaltableau zu besprechen. Die Macrons und Salvinis halten wenig davon, den siegreichen Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten zu befördern. Schlechte Karten für Manfred Weber.
Kurz, eben noch Shootingstar der europäischen Konservativen, wäre dort ein gewichtiger Fürsprecher für den CSU-Politiker. Und womöglich verlässlicher als die deutsche Kanzlerin. Deshalb dürfte am Montag auch ein Niederbayer von Brüssel aus bange nach Wien blicken.
Mike.Schier@ovb.net