Zwischen Übergang und Untergang

von Redaktion

Österreich wird jetzt im Krisenmodus regiert. Vier parteilose Experten ersetzen die zurückgetretenen FPÖ-Minister. Kanzler Sebastian Kurz will im Amt bleiben. Übersteht er das nahende Misstrauensvotum im Nationalrat?

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Wien/München – Wenn die Minister sich jetzt für einen Moment umdrehen, sehen sie in die Augen Ihrer Majestät. Huldvoll blickt Maria Theresia, gemalt in Öl, von der samtroten Wand der Präsidentschaftskanzlei. Das überdimensionale Gemälde soll Gäste des Bundespräsidenten an Österreichs ruhmreiche Geschichte erinnern. Im 18. Jahrhundert regierte Maria Theresia 40 Jahre lang. Nun ja: Die Damen und Herren, die sich gerade vor ihr versammelt haben, wären schon froh, wenn sie ein paar Wochen im Amt durchhalten.

Im prächtigsten Saal der Hofburg (übrigens einst das Schlafgemach der Regentin) sind am Mittwoch die vier Übergangs-Minister vereidigt worden – „angelobt“, sagt der Österreicher dazu. Als parteilose Experten füllen sie die Plätze der FPÖ-Minister, die seit dem Platzen der Koalition vakant sind (Außenministerin Karin Kneissl, obwohl FPÖ-nah, bleibt im Amt). Der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofs, Eckart Ratz (65), übernimmt das hochsensible Innenressort. Das Sozialministerium führt der frühere Abteilungsleiter Walter Pöltner (67), das Infrastruktur-Ministerium die Chefin der Flugsicherung Austro Control, Valerie Hackl (36). Verteidigungsminister ist Vize-Generalstabschef Johann Luif (59). Bundespräsident Alexander Van der Bellen ermahnt sie: Politik sei „auch ein Handwerk“, das einige erst erlernen müssten, und das „Gewissenhaftigkeit und Respekt“ erfordere.

Keine 24 Stunden Zeit hatte das Quartett, um sich auf das neue Amt einzulassen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) musste innerhalb dieser Zeit sein Übergangskabinett bis zu den Neuwahlen im September vorschlagen. Die Auswahl ist ungewöhnlich – aber wohl politisch clever. Der junge Konservative suchte teils SPÖ-nahe Leute aus, Pöltner (Soziales) etwa, auch Hackl (Verkehr) machte unter SPÖ-Leuten Karriere. Die Personalien sollen die aufgeheizte Lage in Wien ein Stück weit beruhigen.

Kurz steht vor einem Misstrauensvotum, gestellt von der kleinen Liste „Jetzt“. Am Montagmittag wird das Parlament über ein vorzeitiges Ende seiner Kanzlerschaft abstimmen, eine einfache Mehrheit genügt zum Sturz. Noch ist nicht sicher, ob neben der FPÖ auch die SPÖ gegen ihn stimmt. Das wäre nicht das Ende der Karriere – ÖVP-Chef bleibt er ja – aber ein herber Rückschlag.

Der Kanzler versucht, das mit demonstrativem Teamwork zu verhindern. Die Sozialdemokraten bindet er seit dem Wochenende stündlich mit Treffen und Telefonaten in seine Pläne ein. Ausführlich betont er, die Übergangsregierung werde „sehr behutsam mit budgetrelevanten Entscheidungen“ umgehen, „Ruhe und Besonnenheit“ walten lassen. Immer wieder arbeitet er auch heraus, wie eng er sich mit dem Bundespräsidenten abstimme.

Van der Bellen, obwohl einstiger Grünen-Chef, ist erkennbar nicht daran gelegen, mit Kurz’ Sturz die Republik noch tiefer in die Krise rutschen zu lassen. Er weiß: Bei den anstehenden EU-Gipfeln nach der Europawahl, wo für den ganzen Kontinent Weichen gestellt werden, wäre es schon besser, auf Kurz’ Kontakte vertrauen zu können.

Auch für die SPÖ ist die Lage nicht einfach. Einerseits lockt der Gedanke, den populären Kanzler stürzen zu können, zum ersten Mal in Österreichs Geschichte. Andererseits hat er derzeit gute Aussichten, die Wahl im September zu gewinnen und das Amt zurückzuholen. Dann hätte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner höchstens einen Pyrrhus-Sieg errungen.

Die Stimmung im Land scheint nach dem heftigen Beben durch die Video-Affäre derzeit eher nach Stabilität zu verlangen. Das Massenblatt „Kronen-Zeitung“ titelte jedenfalls: „Vernunft muss jetzt regieren!“

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