Wahlkampf zur Europawahl

Eine Chance verpasst

von Redaktion

MIKE SCHIER

Großbritannien machte den Auftakt. Ausgerechnet das Land, das eigentlich gar nicht mehr zur EU gehören wollte, begann gestern mit der Europawahl. Die Umstände auf der Insel könnten turbulenter nicht sein. Auch in Österreich und Italien regiert der politische Ausnahmezustand, was den Ausgang dieses europäischen Votums schwer absehbar macht. Gemessen an diesen Verhältnissen erscheint Deutschland trotz Merkel-Dämmerung einmal mehr wie ein Hort der politischen Stabilität.

Umso bedauerlicher ist die Art und Weise, wie der Europa-Wahlkampf hierzulande geführt wurde. „Europa jetzt stark machen“, plakatierte die CSU. „Europa ist die Antwort“, hieß der Slogan der SPD. „Europas Versprechen erneuern“, forderten die Grünen. Und die FDP wollte: „Europas Chancen nutzen“. In ihrer Panik vor den rechten Populisten schien es, als würden alle anderen Parteien, die in Umfragen gemeinsam auf mehr als 80 Prozent der Stimmen kommen, zu einer vagen, pro-europäischen Masse verschmelzen. Dabei traute sich in Zeiten des Brexit-Chaos nicht mal mehr die AfD, die deutsche EU-Mitgliedschaft ernsthaft infrage zu stellen.

Insofern wurde in diesem Wahlkampf eine große Chance verpasst. Die Frage wäre nicht gewesen, ob man für Europa ist, sondern für welches. Brauchen wir gemeinsame Steuern und eine gemeinsame Armee? Soll das Bündnis weiter wachsen oder wäre es sinnvoller, wenn ein Kern-Europa die Zusammenarbeit intensiviert? Wie lautet die deutsche Antwort auf die Vorschläge eines Emmanuel Macron – und wie auf Donald Trump? All diese Fragen mögen in den Programmen eine Rolle spielen, im oberflächlichen Wahlkampf blieben sie unbeantwortet. Das ist mehr als bedauerlich: Ohne „normalen“ Wahlkampf kann sich auch ein vereintes Europa nicht normalisieren.

Mike.Schier@ovb.net

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