Boris Johnson ist Favorit im Tory-Ring

von Redaktion

Kaum ein britischer Politiker hat es so deutlich auf das Amt des Regierungschefs abgesehen wie Boris Johnson. Nach dem Rücktritt von Premierministerin Theresa May könnte er seinem Ziel so nahe gekommen sein wie nie zuvor.

VON CHRISTOPH MEYER UND SILVIA KUSIDLO

London – War es die neue Liebe oder die Aussicht auf das Amt des Premiers? Der ehemalige britische Außenminister und Brexit-Wortführer Boris Johnson hat in den vergangenen Monaten eine merkliche Wandlung vollzogen. Der einst füllige Bauch ging zurück, die blonde Mähne auf seinem Kopf wurde zu einer passablen Frisur.

Johnson lebt Berichten zufolge seit einigen Monaten von seiner Frau getrennt und soll mit einer mehr als 20 Jahre jüngeren Medienexpertin liiert sein. Doch vieles spricht dafür, dass er sich bereits intensiv auf das  Rennen um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May vorbereitete, die am Freitag zurückgetreten ist. Er gilt derzeit als Favorit für den Top-Job.

Nur kurz nachdem May in London ihren Rücktritt verkündet hatte, drohte er bereits mit einem EU-Austritt ohne Abkommen. Bei einer Konferenz in der Schweiz sagte er: „Natürlich bewerbe ich mich als Premierminister.“ Und weiter: „Um einen guten Deal zu bekommen, muss man sich auf einen No-Deal vorbereiten. Um etwas zu erreichen, muss man bereit sein, den anderen stehen zu lassen.“ Viele halten das für einen Bluff. Es spricht einiges dagegen, dass Johnson mit dieser Strategie Zugeständnisse von der EU bis zum Ende der Austrittsfrist am 31. Oktober erreicht. Brüssel machte umgehend klar, dass der mit May ausgehandelte Brexit-Deal nicht wieder aufgeschnürt wird.

Im Ringen um den EU-Austritt hatte Johnson oft das von ihm ins Gegenteil verkehrte Sprichwort „You can’t have your cake and eat it“ – etwa: man kann seinen Kuchen nicht gleichzeitig essen und aufbewahren – bemüht. Johnson war der Meinung, das ginge sehr wohl. Damit war gemeint, Großbritannien könne aus der EU austreten und die Pflichten der Mitgliedschaft abschütteln, aber weiter deren Vorteile genießen. Dieser Ansatz wurde von Brüssel vehement als Rosinenpicken zurückgewiesen.

Schon nach dem knappen Brexit-Votum der Briten im Jahr 2016 sah es so aus, als würde Johnson nach dem Amt des Premiers greifen, doch es kam anders. Er musste sich mangels Unterstützung aus dem Rennen zurückziehen. Die siegreiche Theresa May machte Johnson damals zum Außenminister, wohl um ihn in Schach zu halten. In diesem Amt hatte Johnson keine gute Figur gemacht. Der 54-Jährige ist alles andere als ein Diplomat. Die Liste seiner Fehltritte ist lang.

Unrühmliche Schlagzeilen machte Johnson etwa, als er bei einem Parteitag der britischen Konservativen über die ehemalige libysche IS-Hochburg Sirte als potenzielles Touristenparadies sprach. „Sie müssen nur die Leichen wegräumen“, scherzte Johnson. Ähnlich groß war die Empörung als er in einem buddhistischen Tempel in Myanmar während eines offiziellen Besuchs ein kolonialzeitliches Gedicht rezitierte, in dem eine Buddha-Statue als „Götze aus Matsch“ bezeichnet wird. „Nicht angemessen“, zischte der britische Botschafter ihm zu. Dass er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, zeichnete sich bereits früh ab. Seinen ersten Job als Journalist bei der renommierten Tageszeitung „The Times“ verlor er, weil er absichtlich ein Zitat verfälschte. Bei der Parteibasis ist Johnson trotzdem beliebt.

Nur Premierminister zu werden, sei nicht genug für ihn, scherzte einmal seine Schwester Rachel. Als Kind habe er als Berufswunsch Welt-König genannt. Nun könnte es vielleicht doch der Premierminister werden.

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