Bremen – Um Viertel nach Sechs tanzt Carsten Meyer-Heder, kurz „CMH“, das erste kleine Tänzchen des Tages. Auf der Wahlparty der Bremer CDU läuft lässige Hip-hop-Musik, neben dem Spitzenkandidaten steht die Parteijugend mit Pappschildchen und der Aufschrift: „Unser Bremen kann mehr“.
Will heißen: Bremen kann mehr als SPD, so zumindest die Hoffnung von CMH, der einen Hüftschwung andeutet. Feierlaune bei der CDU – obwohl das Ergebnis nicht so überragend wie erhofft ist. Aber wurscht, Hauptsache Sieger. Seit 73 Jahren stellen die Sozialdemokraten ununterbrochen den Bürgermeister, also den Regierungschef des kleinsten deutschen Bundeslands. Bisher galt: Die SPD kann in der ganzen Republik noch so sehr abgewatscht werden, Bremen fällt nie. Jetzt kann der zwei Meter große Polit-Quereinsteiger und Software-Unternehmer Meyer-Heder, der in zweiter Ehe verheiratet ist, bundesdeutsche Geschichte schreiben.
Am Abend liegt er bei der ersten Hochrechnung mit 25,2 Prozent der Stimmen knapp vor dem amtierenden SPD-Bürgermeister Carsten Sieling, der massive Verluste einfahren musste. Auf der Wahlparty ruft Meyer-Heder seinen Anhängern zu: „Das ist ja mein erster Wahlkampf. Es ist aber ein historischer.“
Es ist ein kleiner Treppenwitz der Geschichte, was hier in Bremen passiert. Als Abiturient wetterte CMH noch gegen den Kapitalismus und gegen Bremens Großarbeitgeber Mercedes. Er war früher das Gegenteil eines typischen CDU-Wählers, jetzt ist er die große Hoffnung der Konservativen. Im Wahlkampf sagte der markante 58-Jährige mit Glatze und Kinnbart immer wieder: „Ich bin kein Politiker.“ Trotzdem hat er in vielen Politikbereichen bessere Zustimmungswerte als der altgediente, linke Sozialdemokrat und Finanzexperte Carsten Sieling, 60, der Hornbrille trägt und seit 2015 Bremer Bürgermeister ist.
Sieling hat die Wahl verloren, keine Frage. Aber ob er den Rathaussessel räumen muss, ist noch nicht ausgemacht. Das Wahlrecht in Bremen ist extrem kompliziert, der Stimmzettel hatte 24 Seiten und jeder Wähler fünf Stimmen. Mit dem amtlichen Endergebnis wird erst Mittwoch gerechnet. Das alles gibt der SPD Hoffnung, ein bisschen zumindest.
Sieling ist die Enttäuschung anzusehen. Ohne Regung steht er vor seinen Anhängern und sagt: „Wir werden sehen, was sich im Laufe des Abends ergibt.“ Und er sagt maximal vage: „Wir gucken in die Zukunft und wollen gestalten.“
Die CDU jubelt, die SPD trägt Trauer – trotzdem ist unsicher, wer das Land demnächst regieren wird. Reichen würde es für ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken. Die Linke würde in dem Fall erstmals in einem westdeutschen Land in Regierungsverantwortung kommen. Möglich wäre auch eine Große Koalition aus CDU und SPD, allerdings hatte Sieling das im Vorfeld ausgeschlossen. Auch ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP ist wohl möglich. Die Liberalen würde sofort auf den Zug aufspringen. Die Grünen sind noch skeptisch.
CDU-Spitzenkandidat Meyer-Heder lässt am Wahlabend jedenfalls keinen Zweifel an seinen Ambitionen: „Ich will Bürgermeister werden“, sagt er. Seine Partei habe als stärkste Kraft den Regierungsauftrag erhalten, dies sei besonders wegen der hohen Wahlbeteiligung werthaltig. Weit über 60 Prozent der Bremer haben gewählt – so viele wie schon lange nicht mehr. „Jamaika fänd’ ich gut“, sagt Meyer-Heder. „Ich kann mir auch Schwarz-Grün vorstellen.“ Wobei das Wahlergebnis letztere Option zunächst nicht hergibt.
Maike Schaefer, die grüne Spitzenkandidatin, meldet sich am Abend zu Wort. Ihre Partei geht mit über 18 Prozent der Stimmen gestärkt aus der zwölfjährigen rot-grünen Regierungsphase. Schaefer ist die Königsmacherin an der Weser. Sie sei offen für jede denkbare Dreier-Koalition.
Also sind es wahrscheinlich die Grünen, die entscheiden, ob in Bremen tatsächlich Geschichte geschrieben wird. Und vor allem welche.